Das Geheimnis zweier Ozeane
näherte sich gerade der Ecke, in der Pawlik vorsichtig einen Knäuel aus farbenprächtigen Seelilien, Gorgonen, Holothurien und Seesternen zu entwirren versuchte, als plötzlich die Finger des Jungen im Knäuel etwas Hartes, Eckiges berührten. Behutsam schob er das Flechtwerk von Seesternarmen, Saugnäpfen und Korallenstielen auseinander und hatte das ihm schon bekannte Kästchen für die Reserveteile von Gorelows „Underwood“ in den Händen.
Pawlik blickte voller Staunen darauf. In diesem Augenblick hockte schon Gorelow neben dem Jungen. Mit hängenden Armen und erhobenem Kopf sah er in seinem Taucheranzug einem Fabelwesen ähnlich, das zum Sprung ansetzt.
Angst packte Pawlik, als er sich umdrehte und diese schreckeinflößende Figur und die Augen sah – wütende und drohende, tiefliegende Augen. Der Junge hatte kaum die Kraft zu stottern:
„Fjodor Michailowitsch, wozu ist das hier? Die Teile hätten doch im Wasser verrosten können …“
Ohne sich aufzurichten, riß Gorelow das schwere Kästchen aus Pawliks Händen und sagte mit belegter Stimme:
„Du irrst! Das sind gar keine Reserveteile. Ich habe nur einige Geräte für die Exkursion hineingelegt …“
Er steckte das Kästchen schnell in den Sack und sammelte mit gesenktem Kopf weiter.
Der Kommissar hatte die Szene aus seiner Ecke beobachtet.
Das Einsammeln war beendet, die ganze Beute wieder untergebracht; nichts war beschädigt worden. Die Exkursionsteilnehmer entleerten, müde und guter Laune, ihren Fang in die Laboratoriumswannen und -kästen und suchten ihre Kajüten auf.
Gorelow ging mit den anderen durch den Gang, öffnete die Tür seiner Kajüte und verschwand darin. Er lehnte sich einige Minuten schwer atmend gegen die Wand, seine riesigen Fäuste ballten und öffneten sich. Dann nahm er das Kästchen aus der Tasche, hielt es einen Augenblick in der zitternden Hand und baute es wieder in die Schreibmaschine ein. In furchtbarer Erregung lief er mit langen Schritten durch die Kajüte. Seinen blassen Lippen entrang sich ein heiseres Murmeln:
„Ich muß Schluß machen … dieser Bengel … Ich muß Schluß machen …“
Er ließ sich in einen Stuhl fallen und blieb reglos sitzen.
In immer schnellerer Fahrt nahm die ,Pionier‘ Kurs auf Feuerland.
Man konnte nur schwer vorwärts kommen. Auf Schritt und Tritt versperrten riesige Felstrümmer, Sandbänke und Riffe mit steilen Hängen den Weg. Beim Umgehen dieser Hindernisse schlugen den Tauchern starke Strömungen entgegen. Obgleich das Meer an der Küste von Feuerland selten tiefer ist als dreißig bis vierzig Meter, drang das Tageslicht kaum bis zum Meeresgrund. Eine grünlichblaue Dämmerung zwang die Taucher, die Stirnlaternen eingeschaltet zu lassen, aber die Sicht war trotzdem sehr schlecht.
Auf der Oberfläche des Ozeans wütete ein heftiger Orkan. Das war sogar hier am Meeresboden zu spüren. Die Unterwasserströmungen machten es den Männern schwer, vorwärts zu kommen.
Als ihm das Laufen zu anstrengend wurde, ließ Pawlik seine Schraube an, um nicht zurückzubleiben.
Der Zoologe und Skworeschnja marschierten unentwegt weiter. Der Gelehrte war der Meinung, man könne beim Gehen auf dem festen, sandigen Meeresgrund eine reichere Beute machen. Skworeschnja widersprach nicht. Er war ein erfahrener und zäher Fußgänger unter Wasser.
Der Meeresboden stieg sanft an, und endlich zeigten sich vor ihnen die dunklen Umrisse eines Tangdickichts.
„Bald wird es leichter werden, Jungchen“, sagte der Zoologe zu Pawlik. „Wenn wir diese grüne Wand erst einmal hinter uns haben, dann fühlen wir in ihrem Schutz den Orkan nicht mehr; auch die Strömung wird schwächer werden.“
Nun standen die Taucher vor dem Tangdickicht. Der Zoologe hatte nicht ganz recht gehabt, als er von einer Wand sprach. Die Tange ragten vom Meeresboden in scharfem Winkel schräg nach oben und verloren sich im Dunkel. Pawlik wußte, daß jetzt die schwierigste Wegstrecke vor ihnen lag. Er schaltete seine Schraube ab und gesellte sich zu seinen Freunden.
Ins Dickicht drangen sie im Gänsemarsch ein. Es ergab sich wie von selbst, daß Skworeschnja an der Spitze schritt, hinter ihm der Zoologe und zum Schluß Pawlik. Wie ein Rammbock bahnte sich Skworeschnja den Weg durch das Gewirr dicker Stengel und breiter, fleischiger Blätter.
Das plötzliche Auftauchen der Menschen verursachte unter den Bewohnern des unterseeischen Waldes eine Panik. Schwärme kleiner Fische und Sepien, die sich in den Wurzelstöcken
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