Das Geheimnis zweier Ozeane
Feuer. Ngaaras Weib, Angata, hatte es am Strand entfacht, damit der Ernährer der Familie leicht zu seiner Hütte zurückfand, wenn er vom Fischfang, mit Beute beladen, zu seinen hungrigen Kindern zurückkehrte.
Ngaara seufzte tief. Sogar vor Sonnenuntergang und während der kurzen Dämmerung, da der Fang sich am besten lohnte, hatte kein einziger Fisch an seine stählernen Angelhaken angebissen, die er vom alten Robinson für so viele Fische eingetauscht hatte. Kein einziges Tier rührte den Köder an, und sogar der Zauberhaken, den Ngaara ehrfurchtsvoll und mit viel Mühe aus dem Schienbein seines verstorbenen Vaters insgeheim angefertigt hatte, wurde von den Fischen verschmäht. Mit Einbruch der Nacht war Ngaara gezwungen, sich an Krebse und Krabben zu halten. Das war keine sehr schmackhafte Nahrung, aber mit leeren Händen konnte er nicht nach Hause zurückkehren. Doch auch bei dieser Jagd hatte der arme Ngaara heute kein Glück. Nur ein paar kleine Krabben und etwa ein Dutzend große graugrüne Krebse raschelten mit ihren Scheren auf dem Boden seines Kanus. Zweifellos hatte Achu-achtu-tatana, der böse Geist, seine Hand im Spiel. Inzwischen war es spät geworden, er mußte zum Ufer zurückrudern. Bald war die Sandbank zu Ende, dahinter fiel der Meeresboden steil ab.
Plötzlich hatte Ngaara einen Einfall. Auf diesem Steilhang ging sonst niemand auf Krabbenfang. Sollte er vielleicht versuchen, das Netz tiefer hinabzulassen? Vielleicht gab es dort mehr Beute. Man mußte es wagen! Es war beschämend, wenn ein so erfahrener Fischer und Taucher wie er, ein Mann in der Blüte seiner Jahre, mit einem fast leeren Kanu zu seiner hungrigen Familie zurückkehrte.
Ngaara faßte einen Entschluß. Er ließ das Netz wieder ins Wasser gleiten und ruderte vorsichtiger. Er flüsterte die Namen der Götter: Mea-kachi, des Schutzgottes der Fischer, Make-make, des Gottes der Seeschwalbeneier, die Ngaara unter Lebensgefahr erbeutete und dem Gott opferte, und sogar den Namen des Eiergottes Chawa-tuu-take-take und seiner verehrungswürdigen Gemahlin Wijechoa.
Die Leine rollte immer schneller ab und war schon fast zu Ende, als sie plötzlich schlaff herabhing. Das Netz hat den Meeresgrund erreicht, dachte Ngaara erfreut. Jetzt mußte er es vorsichtig über den Steilhang nach oben ziehen. Er ruderte drei bis vier Kanulängen zurück, griff nach der Leine und zog sie an. Die Leine straffte sich, ließ sich aber nicht ziehen.
Das Netz hatte sich anscheinend am Meeresgrund festgehakt. Ngaara zog kräftiger, aber ohne Erfolg. Mit zornigem und traurigem Herzen beschimpfte er seine alten Götter, sogar Tatana, den bösen Geist.
Was sollte er tun? Er konnte doch nicht sein Netz preisgeben, das ihn und seine Familie ernährte, Steuern einbrachte und dem alten Tatana Robinson die Schulden für Schnaps, Tabak und Angelhaken bezahlte. – Gewiß, hier war es sehr tief, aber einem Taucher wie Ngaara wäre selbst die ganze Länge seiner Leine nicht zuviel. – Haifische? Das wäre unangenehm, aber Ngaaras Messer im Gürtel war lang und scharf.
Der Mann zog seine alte Jacke und die abgewetzte geflickte Hose aus und sprang ins dunkle Wasser. Obwohl er unter Wasser sofort gewohnheitsgemäß die Augen öffnete, sah er die Leine in der tintenschwarzen Finsternis nicht. Erst nachdem er sie eine Weile gesucht hatte, kam sie ihm zwischen die Finger; schnell tauchte er an ihr hinunter.
Plötzlich sahen seine weitaufgerissenen Augen etwas, bei dessen Anblick ihn eine abergläubische Angst schüttelte: Weit unter ihm, in der Tiefe des Ozeans, leuchtete eine riesige, silbrige Wolke, als sei der Mond vom Himmel in die dunklen Fluten gesunken und verbreite dort sein starkes Licht, um das herum grelle weiße Pünktchen wie Meergeister tanzten. Ein dumpfer, singender Ton hallte aus der Tiefe herauf, und Ngaara glaubte, vor Angst sterben zu müssen. Die Töne folgten einer dem anderen, rhythmisch und schwingend. Ihre Musik erfüllte den ganzen Ozean, als trommelten Riesen auf einen Kürbis, der so groß wie ein Berg war. Grüne und orangefarbene Kreise zogen an Ngaaras Augen vorbei. Er war dem Ersticken nahe, Entsetzen lähmte seine Glieder. Mit einer letzten Kraftanstrengung schnellte er nach oben, er wollte dem Anblick dieser unheimlichen Silberwolke, dem schrecklichen Trommelschlag entfliehen. Aber das dumpfe Tamtam der Riesentrommel verfolgte, umbrauste ihn, und fast von Sinnen, mit wild pochendem Herzen, erreichte Ngaara die Oberfläche. Mit zitternden
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