Das Geheimnis zweier Ozeane
preßte ihn zusammen. Die Fangarme schnellten wie Stahlspiralen nach oben, jedesmal aus dem Körper des Wales Hautfetzen herausreißend, und umschlangen ihn wieder. Die wütenden, starren Augen des Kraken funkelten, die Hautringe um die Augenhöhlen schwollen an. Er atmete schwer, ließ Wasser in seinen Mantelsack einfließen und stieß es aus dem Trichter mit solcher Gewalt heraus, daß kleine Seetiere, Muschelschalen und Algenreste, Sand und Schlamm umherwirbelten.
Der ratlose Pottwal klappte die Unterkiefer auf und zu, warf sich hin und her und peitschte wie rasend mit der Schwanzflosse das Wasser. Er schlug gegen die Schiffswand und löste einen ganzen Algenteppich los. Der Wasserwirbel warf Pawlik um, aber er setzte sich sofort wieder auf und preßte sich unbeweglich gegen den Kiel. Im gleichen Augenblick senkte sich der Pottwal auf den Grund und drückte den Kraken mit seinem ganzen Gewicht gegen den Meeresboden. Aber der Krake hielt ihn weiter umklammert und zerfetzte seine Haut. Jetzt schwamm der Pottwal rückwärts und schleifte seinen Peiniger über die auf den Meeresgrund verstreuten scharfkantigen Felstrümmer. Bald fühlte der Krake die Folgen dieses Manövers. Sein weicher, gallertartiger Körper wurde aufgerissen, er mußte seine günstige Kampfposition aufgeben und kam wieder in den Bereich der schrecklichen Zähne des Pottwals.
Die langsame Rückwärtsbewegung des Wals verlief gerade zu der Stelle hin, von der aus Pawlik in tödlicher Angst die Schlacht der Meeresungeheuer beobachtete. Der lebende Berg kam seitlich auf ihn zu und drohte, ihn an die Schiffswand zu drücken. Er wollte zum Bug laufen; doch fürchtete er, die Aufmerksamkeit der rasenden Kämpfer auf sich zu lenken. Er schaute sich um, in der Hoffnung, ins Leck schlüpfen zu können. Aber es war weit von ihm entfernt. Noch einen Augenblick, und der furchtbare Rachen des Pottwals und die schrecklichen Fangarme des Kraken würden ganz in seiner Nähe auftauchen.
Da hielt es Pawlik nicht mehr aus und sprang verzweifelt auf. Er versuchte, an Algen und Seelilien die Schiffswand emporzuklettern. Er klammerte sich an die Muscheln, die an den Schiffsplanken festsaßen. In tödlicher Angst, abgleitend und schwankend, kämpfte er sich Zentimeter um Zentimeter nach oben. Er hatte schon fast die Hälfte der Schiffswand erklettert, als der Berg ihn erreichte. Mit furchtbarer Gewalt prallten die Kämpfenden gegen seine Beine. Pawlik verlor den Halt, seinen Händen entglitt ein Büschel Algen, er wurde herumgewirbelt und fiel auf den schlüpfrigen Rücken des Wales. Im Fallen konnte er noch sehen, daß einige Fangarme des Kraken von den riesigen Kiefern des Pottwals erfaßt waren und daß der Kopffüßer wie ein Sack aus dem Maul des Riesen heraushing. Pawlik rutschte zur Seite, blieb aber dann an irgend etwas hängen. Im gleichen Augenblick warf sich der Pottwal nach oben, schleuderte aus seinem Rachen den verstümmelten, noch zuckenden Körper des Kraken und kreiste mit dem an seiner Seite hängenden Jungen über dem Schiff.
Was war geschehen? Wie im Traum versuchte Pawlik, sich am glatten Rücken des Pottwals festzuklammern; nur ein Gedanke beherrschte ihn: Nicht abzugleiten, um nicht von der Schwanzflosse getroffen zu werden, die ganz nahe mit furchtbarer Gewalt das Wasser peitschte.
Der Pottwal schoß nach oben, kam wieder herunter, jagte wie ein: Torpedo über das gesunkene Schiff dahin und verschwand in den dunklen Tiefen des Ozeans. Das letzte, was Pawlik noch bemerken konnte, waren die hellen Strahlen von vier Laternen und vier menschliche Gestalten inmitten eines Knäuels sich windender Fangarme. Dann versank alles, um ihn. Eine undurchdringliche Finsternis umgab Pawlik und lastete wie Blei auf seiner Brust und seinem Kopf … Der Junge lehnte den Kopf an den Rücken des Wals und schloß in tödlicher Erschöpfung die Augen.
Elftes Kapitel
DIE VERFOLGUNG
M
ar at öffnete die Augen und starrte teilnahmslos zur Decke. Plötzlich richtete er sich mit einem Ruck auf und setzte sich auf den Kojenrand. „Er hat Pawlik fortgeschleppt!“ Schrie er verzweifelt. „Er hat ihn fortgeschleppt! Kapitän, retten Sie Pawlik! Aber schnell … schnell!“
Marat sprang, nur mit einem Hemd bekleidet, vom Kojenrand auf und stürzte zur Tür. Weder der Kapitän noch der Zoologe und der Kommissar konnten ihn zurückhalten. Aber in der Tür prallte er mit Gorelow zusammen, der ihn mit seinen langen, kräftigen Armen festhielt.
„Was sagst du da, Marat?
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