Das Geheimnis zweier Ozeane
beseelte Pawlik. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, und er sah, daß der Krake, der sich wie ein zwei Meter hoher Hügel über ihm türmte, ihn mit drei Fangarmen umschlungen hatte und mit den anderen sich gegen den Schiffsboden stemmte und zum Ausgang kroch. Er schob sich leicht mit seiner Beute durchs Leck.
Außen war es heller. Pawlik schaute nach oben und bemerkte über dem Schiff einen silbrigen Lichtschimmer.
Sie sind noch dort …, dachte er. Sie kämpfen!
Wieder packte ihn Angst. Wenn seine Kameraden umkommen sollten? Marat hatte doch gesagt, daß es hier so viele von diesen Ungeheuern gäbe – und wer konnte ihm da zu Hilfe kommen? Was wird der Krake machen, wenn er mit dem Taucheranzug nicht fertig werden sollte? Vielleicht wird er ihn doch aufreißen können? Pawlik blickte angstvoll auf den riesigen scharfen Schnabel des Kopffüßers. Arsen Dawidowitsch hatte vor kurzem erzählt, daß Kraken die härtesten Muscheln zermalmen können! Aber das Metall seines Taucheranzuges war doch noch härter.
Der Krake kroch noch zehn Meter weiter. Anscheinend war er sehr hungrig. Die riesigen Fangarme wild schlängelnd, zog er Pawlik an seine Mundöffnung heran. Zweifellos wollte er erst die Hülle dieser seltsamen Beute zerdrücken, bevor er sie zu fressen begann. Aber alle seine Anstrengungen waren vergeblich. Das reizte das Tier ungemein. Seine Augenkugeln erglänzten in grünlichen und gelblichen Silberreflexen, der Körper zeigte einen fortwährenden Wechsel brillanter Färbungen. Trotz seiner schrecklichen Lage bezauberte dies märchenhafte Farbenspiel Pawlik für einen Augenblick.
Plötzlich fühlte er, wie sich seine Beine in den Kniegelenken bogen und immer näher an den Körper herangezogen wurden. Es tat sehr weh. Mit jeder Sekunde wurde der Schmerz heftiger. Gleichzeitig drehten die Fangarme des Kraken Pawliks Körper um und begannen den Kopf an den Bauch zu drücken. Das, worauf Krepin bei seinem Taucheranzug so stolz war, die Gelenkigkeit, verwandelte sich jetzt in die Achillesferse der Erfindung und konnte Pawliks Tod herbeiführen. Der Krake rollte Pawlik zusammen, indem er ihm die Beine an den Rücken und den Kopf bis zum Bauch drückte.
Pawlik schrie auf vor gräßlichen Schmerzen. Und als habe sich der Krake erschrocken, lockerte er seine furchtbare Umschlingung und hob seine riesigen Fangarme über seinen Körper empor. Pawlik fiel auf den Sand und begriff nicht gleich, was geschehen war. Aber schon im nächsten Augenblick sah er ganz nahe vor sich den Schatten eines unwahrscheinlich großen Fisches. Der Fisch bewegte seine Schwanzflosse, die so groß wie ein Scheunentor war, und allein durch den Druck des Wassers wurde Pawlik zur Bresche in der Schiffswand zurückgeschleudert. Der Junge fiel nach hinten und blieb mit dem Rücken zum Schiff sitzen.
„Ein Pottwal!“ stammelte er, seinen plötzlich aufgetauchten Retter anstarrend.
Es war ein prächtiger Vertreter der streitbaren Walfamilie, nicht weniger als fünfundzwanzig Meter lang. Sein riesiger abgestumpfter, vorn rechteckiger Kopf – ein Drittel seiner Gesamtlänge – hatte fast zwei Meter im Durchmesser. Der untere schmale Kiefer starrte von großen, kegelförmigen Zähnen. Die kleinen Ochsenaugen funkelten wütend. Der Kopf des Wals war schon ganz von den dicken Fangarmen des Kraken umwunden. Sie lösten sich manchmal, und an ihnen hafteten Hautstücke, die von den Saugnäpfen aus dem Kopf des Pottwals herausgerissen worden waren. Ein Fangarm des Kraken geriet in den geöffneten Rachen des Pottwals und wurde von ihm glatt abgebissen. Krampfhaft zuckend glitt der Fangarm zum Meeresboden.
Der Pottwal war anscheinend ein alter, erfahrener Räuber. Seine schwarze, seidig glänzende Haut war von großen Narben übersät, Spuren der Saugnäpfe riesiger Kopffüßer. Einige Schrammen von den Harpunen der Walfangschiffe zogen sich über seinen breiten Rücken und über die Bauchseiten. Am Kopf ragte noch der Stiel einer abgebrochenen Harpune heraus. Ein anderer steckte seitlich in der Nähe der Schwanzflosse.
Diesmal schien der Pottwal auf einen ebenbürtigen Gegner gestoßen zu sein. Nachdem der Krake einen seiner Fangarme verloren hatte, stieß er einen mächtigen Wasserstrahl aus seinem Trichter, lockerte seine Umschlingung und schob sich unter den Bauch des Pottwals. Hier war er vor den schrecklichen Kiefern seines Gegners einigermaßen sicher. Seine restlichen sieben Fangarme wand er um den Körper des Feindes und
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