Das Geheimnis zweier Ozeane
herrlichen Taucheranzug du hast, würde man vielleicht zu ihm sagen … Pawlik schüttelte verzweifelt den Kopf. Das geht nicht! Woher kommst du, Junge? Aus der Sowjetunion, von Bord des sowjetischen U-Bootes ,Pionier‘? … Ach so, aus der Sowjetunion, von einem U-Boot! Erzähle doch mehr, mein Junge … Das durfte er doch nicht! Lieber sterben … Vielleicht war Pletnjow nicht in der Funkerkabine gewesen. Vielleicht ist er jetzt zurückgekehrt?
„Viktor Abramowitsch! ,Pionier‘! Rettet mich! Das bin ich, Pawlik! Rettet mich!“
Pawlik schluchzte wieder; über seine Wangen rannen heiße Tränen. – Es kam keine Antwort!
Sein Funkgerät arbeitete nicht. Was sollte er noch tun? Auf dem Pottwal bleiben? Aber wohin schwamm er? Konnte man ihn aufhalten? Womit? Mit den Handschuhen …? Mit der Pistole …? Die würden nichts nützen: Die Stirnlaterne war erloschen; funken konnte er auch nicht … Es war kein Strom im Akku.
Am Pottwal jagte ein riesiger Schatten vorbei. Im Bruchteil einer Sekunde sah Pawlik das breit gespaltene, weit nach hinten liegende und von spitzen Zähnen starrende Maul und den hellen Bauch eines Haifisches. Gleich darauf tauchte er noch einmal auf, umschwamm den Pottwal und berührte fast den Jungen.
Dem ersten Hai folgten noch andere, den Rachen aufgesperrt, die kleinen stumpfen Schweinsäuglein schimmerten trübe. Sie kreisten um den Pottwal und kamen immer näher.
Es wurde heller. Pawlik sah jetzt deutlich hinter sich eine riesige, sechs Meter breite Schwanzflosse. Ihre Flachseiten bewegten sich nach oben und unten – gar nicht so wie bei richtigen Fischen, bei denen die Schwanzflosse vertikal zum Körper gestellt ist und sich nach rechts und links bewegt. Erst jetzt begriff Pawlik, warum der Pottwal in ruckartigen Sätzen vorwärts schoß.
Vor sich sah er die schwachen Umrisse einer kleinen Flosse, kaum zwei Meter lang und einen Meter breit, die wie ein Schweineohr seitlich vom Körper des Pottwals abstand. Pawlik wußte, daß in der Nähe dieser Flossen die kleinen Ochsenaugen des Pottwals im ungeheuer großen Kopf sitzen.
Den Pottwal schien plötzlich irgend etwas zu reizen. Die Bewegungen seines riesigen Körpers wurden noch ruckartiger, die Schwanzflosse peitschte das Wasser noch heftiger, und die Gegenströmung erfaßte Pawlik mit solcher Gewalt, daß er sich nur mit Mühe festklammern konnte.
Die Haifische gaben ihre Verfolgung nicht auf. Entweder fühlten sie, daß der Pottwal matter wurde, oder sie vertrauten auf ihre zahlenmäßige Überlegenheit – jedenfalls benahmen sie sich ganz anders als ihre Artgenossen an der Oberfläche des Ozeans, die nie einen Pottwal anzugreifen wagen.
Der Riese änderte seine Schwimmrichtung. Er stieß schräg nach oben, wobei seine Schwanzflosse wie eine Schiffsschraube das Wasser durchpflügte. Vielleicht brauchte er frische Luft zum Atmen, vielleicht wollte er auch die Haifische von sich abschütteln. Diese schienen die Absicht des Pottwals zu bemerken: Kaum jagte er nach oben, schoß ein Haifisch unter ihm hervor, drehte sich auf den Rücken und biß sich in blitzschnellem Zuschnappen in die Flosse unter dem Auge des Pottwals fest. Aber im gleichen Augenblick krümmte sich der Wal zur Seite, und der an seiner Flosse hängende Haifisch wurde nach vorn geschleudert und geriet in den Rachen des Gejagten.
Die schrecklichen Kiefer schlossen sich … der große Haifisch war wie ein Bleistift mitten durchgeschnitten, und beide Hälften sanken langsam zum Meeresgrund. Gleichzeitig traf die Schwanzflosse einen anderen Haifisch und mit gebrochenem Rückgrat begann auch er in die Tiefe abzusinken.
Die beiden Opfer genügten, um die anderen Haie abzulenken. Die gefräßigen Raubfische stürzten sich sofort auf die noch zuckenden Leiber ihrer Artgenossen.
Der Pottwal näherte sich schnell der Oberfläche. Es wurde immer heller und heller.
Plötzlich zerteilten sich die Fluten, und mit zwei mächtigen Schwanzschlägen schnellte der Pottwal wie eine riesige schwarze Kerze mit fast zwei Dritteln seiner Körperlänge über die Meeresoberfläche empor.
Für einen kurzen Augenblick zeigte sich Pawliks Kopf über den Wellen, tauchte aber gleich wieder unter. Doch dieser kurze Moment genügte Pawlik, um einen Blick auf den Ozean zu werfen: Hier und dort stießen einige Wasserfontänen in die Höhe – ein untrügliches Zeichen für die Anwesenheit von Walen; zwei bemannte Boote schaukelten auf den Wellen, und ein kleiner Dampfer näherte sich der
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