Das Geheimnis
wie sein Glied sich unter dem Lendenschurz aufrichtete. Nachdem er seine Befehle übermittelt hatte, ließ er die Zunge sanft über Shichisaburôs Ohrmuschel gleiten. Der Schauspieler kicherte und wandte sich mit einer Mischung aus Freude und Bewunderung dem Kammerherrn zu.
»Wie klug Ihr seid, Euch einen so wundervollen Plan auszudenken! Ich werde genau das tun, was Ihr mir aufgetragen habt, Herr. Und wenn wir fertig sind, wird sôsakan Sano Euch nie wieder Ärger machen.«
Über dem offenen Dach der Einfriedung war das Flattern von Flügeln zu vernehmen. Augenblicklich legte Kammerherr Yanagisawa einen Pfeil auf die Sehne, richtete die Spitze nach oben und ließ den Blick über den kobaltblauen Himmel und die Äste und Zweige der Bäume schweifen, die sich schwarz davor abzeichneten. Vor dem Hintergrund des silbern schimmernden Dreiviertelmondes war eine dunkle Gestalt zu erkennen. Yanagisawa ließ den Pfeil von der Sehne schnellen. Ein Kreischen zerriss die abendliche Stille und eine Eule, den Pfeil in der Brust, stürzte durch das offene Dach ins Innere der provisorischen Unterkunft. In einer seiner scharfen Krallen hielt der Vogel noch immer seine eigene Beute, einen kleinen Maulwurf.
Mit einem Jubelschrei klatschte Shichisaburô in die Hände. »Ein vollendeter Schuss, Herr!«
Kammerherr Yanagisawa lachte. »Da ich die Eule getroffen habe, beanspruche ich auch ihre Beute.« Der Symbolismus war so perfekt wie sein Schuss – ein vielversprechendes Omen, was seinen Plan betraf. Das Triumphgefühl erweckte Yanagisawas Begierde zu neuem Leben. Er ließ den Bogen fallen und hielt Shichisaburô die Hand hin. »Genug von den Geschäften. Komm.«
Der junge Schauspieler ergriff Yanagisawas Hand. »Ja, Herr.«
Sanft bewegte der leise Atem des Windes die Zweige. Der Mond stieg am Himmel empor; sein Licht wurde heller. Und auf den seidenen Wänden der Einfriedung verschmolzen zwei Schatten in inniger Umarmung.
6.
A
ls Sano nach seinem Besuch im Gefängnis von Edo wieder zu seiner Villa gelangte, kam Hirata durchs Tor, um ihn zu begrüßen. »Die Mutter des Shôguns hat sich bereit erklärt, heute vor den Abendgebeten mit uns zu reden. Auch die otoshiyori, die oberste Beamtin der Frauengemächer, wird unsere Fragen beantworten, muss aber bald darauf ihre abendliche Runde durch das Innere Schloss machen.« Sano warf einen sehnsüchtigen Blick auf seine Villa, die gutes und reichliches Essen, ein heißes Bad und die Gesellschaft seiner frisch angetrauten Ehefrau versprach. Was Reiko seit unserer Heirat wohl getan hat, fragte sich Sano und stellte sich seine Gattin bei so friedvollen Tätigkeiten wie dem Nähen, dem Gedichteschreiben oder dem Musizieren auf der Samisen vor – in einer Oase der Ruhe und des Friedens inmitten von Palastintrigen und gewaltsamem Tod. Sano sehnte sich danach, diese Oase zu betreten und Reiko in die Arme zu schließen. Doch rasch senkte der Abend sich über den Palast, und Sano durfte Fürstin Keisho-in und die otoshiyori nicht warten lassen. Außerdem musste er dem Shôgun schnellstens die gute Nachricht überbringen, dass nicht mit einer Seuche zu rechnen sei, weil Konkubine Harume nicht an einer Krankheit gestorben, sondern einem Mord zum Opfer gefallen war.
Sano gab sein Pferd bei den Posten ab und wandte sich an Hirata. »Wir müssen uns beeilen.«
Durch Gänge mit kahlen Steinwänden stiegen sie den Palasthügel hinauf, vorbei an patrouillierenden Wachen mit flackernden Fackeln. Aus gewohnheitsmäßiger Vorsicht wechselten sie kein Wort, bis sie den letzten Kontrollposten passiert hatten und sich dem eigentlichen Palast des Shôguns näherten, dessen Dach mit seinen ungezählten Giebeln, Erkern und Vorsprüngen im Mondlicht schimmerte. Hier, auf den Kieswegen unter den schattenhaften Bäumen, erzählte Sano seinem Gefolgsmann von Dr. Itos Untersuchungsergebnissen.
»Sämtliche Bewohner und die Bediensteten des Inneren Schlosses sind Mordverdächtige«, sagte Sano. »Haben deine Untersuchungen irgendetwas ergeben?«
»Ich habe mit den Wachen und deren Befehlshaber gesprochen«, sagte Hirata. »Außerdem mit der obersten Verwalterin der Frauengemächer. Offiziell heißt es, Harumes Tod sei eine bedauerliche Tragödie gewesen, und dass alle um sie trauern. Etwas anderes bekommt man nicht zu hören.«
»Weil es die Wahrheit ist?«, fragte Sano sich laut. »Oder weil alle sich vor Verdacht schützen wollen?« Da kein Zweifel mehr bestand, dass Harume tatsächlich ermordet worden
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