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Das Geheimnis

Das Geheimnis

Titel: Das Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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wenn Shichisaburô keine unterwürfige Haltung einnahm, wie der Brauch es vorschrieb, ahmte er sogar Yanagisawas Bewegungen und die Körperhaltung nach: den Kopf hoch erhoben, die Schultern gestrafft, bewegte der Junge sich rasch und kraftvoll, doch voller natürlicher Anmut – eine schmeichelhafte Nachahmung, die den Kammerherrn entzückte.
    Beide tranken von dem warmen Sake. Shichisaburôs Gesicht war vom Reisschnaps leicht gerötet, als er fragte: »Hattet Ihr einen anstrengenden Tag, Herr? Musstet Ihr schwierige Regierungsgeschäfte führen? Soll ich versuchen, Euch ein wenig Entspannung zu verschaffen?«
    Yanagisawa legte sich auf den Futon, und Shichisaburôs Hände streichelten ihm über Hals und Rücken, lösten die verkrampften Muskeln und steigerten die Begierde des Kammerherrn. Doch Yanagisawa widersetzte sich dem Verlangen, sich auf den Rücken zu drehen und den Jungen an sich zu ziehen. Zuerst mussten sie über geschäftliche Dinge reden.
    »Es ist mir eine Ehre, Euch berühren zu dürfen«, flüsterte Shichisaburô dem Kammerherrn ins Ohr, während seine Finger ihn streichelten und liebkosten. »Wenn ich nicht bei Euch bin, sehne ich die Zeit herbei, da wir wieder zusammen sein können.«
    Yanagisawa wusste, das Shichisaburô nur schauspielerte und keines seiner Worte aufrichtig meinte, doch das störte ihn nicht im Geringsten. Wie wundervoll, dass es jemanden gab, der ihn so sehr achtete! Und Shichisaburô verehrte Yanagisawa tatsächlich so sehr, dass ihm keine Mühe zu groß war, dem mächtigen Kammerherrn gefällig zu sein.
    »In den Nächten träume ich von Euch, und … und ich muss Euch ein peinliches Geheimnis anvertrauen.« Shichisaburôs Stimme bebte leicht. »Manchmal begehre ich Euch so sehr, dass ich mich selbst befriedige und mir dabei vorstelle, von Eurer Hand berührt zu werden. Ich hoffe, Ihr seid jetzt nicht böse auf mich …«
    »Ganz und gar nicht.« Yanagisawa kicherte. Trotz seiner Begabung und seiner ruhmreichen Ahnenreihe war der Schauspieler ein gemeiner Bürger, ein Niemand. Er war ein schwacher, gutgläubiger, jämmerlicher Wicht, und ein anderer hätte seine Worte vielleicht als Beleidigung aufgefasst. Doch Yanagisawa genoss diese Scharade, war sie doch ein weiterer Beweis dafür, dass er nicht mehr das hilflose Opfer von einst war, sondern der nahezu allmächtige zweite Mann im Lande, der andere Menschen für seine Zwecke benutzte. Er war nicht von Freunden, sondern von Speichelleckern umgeben. Yanagisawa hatte eine wohlhabende Frau geheiratet, die verwandtschaftliche Beziehungen zum Tokugawa-Klan besaß, hielt sich aber von ihr fern, wie auch von seiner fünfjährigen Tochter, für die er schon jetzt nach einem passenden Ehemann suchte, der ihm weitere politische Vorteile verschaffen konnte. Es war ihm egal, ob man ihn verachtete, solange man seinen Befehlen gehorchte. Shichisaburôs unterwürfige Zuneigung erregte Yanagisawa, auch wenn sie nur gespielt war: Macht war das wirksamste Aphrodisiakum.
    Doch widerwillig verdrängte der Kammerherr seine Lustgefühle und setzte sich auf. »Ich brauche in einer sehr wichtigen Angelegenheit deine Hilfe, Shichisaburô«, sagte er.
    Die Augen des jungen Schauspielers strahlten so hell vor Glück, dass Yanagisawa beinahe glaubte, der Junge würde sich durch diese Bitte – die in Wahrheit ein Befehl war – tatsächlich geschmeichelt fühlen. »Ich werde alles für Euch tun, Herr!«
    »Die Angelegenheit ist höchst geheim. Du musst mir versprechen, niemandem davon zu erzählen«, warnte Yanagisawa.
    »Oh, ich verspreche es, ich verspreche es!« Auf Shichisaburôs Gesicht spiegelten sich tiefer Ernst und völlige Aufrichtigkeit. »Ihr könnt mir vertrauen. Lasst es mich Euch beweisen. Euch zu gefallen bedeutet mir mehr als alles andere auf der Welt.«
    Trotz dieser Worte wusste Yanagisawa, dass es nicht Treue oder Zuneigung waren, die Shichisaburô an ihn fesselten, sondern die Angst vor Bestrafung. Falls der junge Schauspieler nicht gehorchte, würde er seinen Status als strahlender Stern der Theatertruppe des Shôguns verlieren und aus dem Palast verjagt; dann müsste er in irgendeinem heruntergekommenen Bordell an einer der Fernstraßen Liebesdienste für Reisende verrichten. Der Kammerherr lächelte. Jeder wird tun, was ich sage und meinen Zorn fürchten …
    Kammerherr Yanagisawa beugte sich dicht an Shichisaburô heran und flüsterte ihm zu. Als ihm der frische, jugendliche Duft des Jungen in die Nase stieg, spürte Yanagisawa,

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