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Das Geheimnis

Das Geheimnis

Titel: Das Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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die Augen blickte, sah er die Begierde darin und das Verlangen, selbst begehrt zu werden – aber auch die Schwäche an geistiger Kraft, an Wille und Durchsetzungsvermögen. Yanagisawa lächelte im Stillen. Er verneigte sich, ohne niederzuknien, wie der Anstand es verlangte, womit er sich beim zukünftigen Shôgun die erste von ungezählten dreisten Freiheiten nahm. Schüchtern und befangen angesichts dieser männlichen Schönheit, erwiderte Tokugawa Tsunayoshi die Geste. Yanagisawa ging zum Podium und hob das Buch des zukünftigen Shôguns auf, das zu Boden gefallen war.
    »Was lest Ihr da, mein Fürst?«, fragte er ohne jede Unterwürfigkeit.
    »Der … Der … Äh …« Vor Erregung stammelnd nahm Tokugawa Tsunayoshi keinen Augenblick lang den Blick vom hübschen Gesicht seines Besuchers. » Der Traum vom Roten Zimmer. «
    Dreist setzte Yanagisawa sich aufs Podium und las laut aus diesem klassischen erotischen Werk aus China vor. Seine in endlosen Unterrichtsstunden geschulte Stimme war melodisch und klangvoll, sein Vortrag fehlerlos. Zwischen den Absätzen hielt er inne und lächelte Tsunayoshi liebreizend an. Der zukünftige Shôgun errötete. Yanagisawa streckte die Hand aus, die Tsunayoshi freudig ergriff.
    Ein Beamter klopfte an und trat ins Zimmer. »Mein Fürst, es wird Zeit für Eure Besprechung mit dem Rat der Ältesten. Wie Ihr wisst, möchten sie Euch über die Zustände im Land unterrichten und Eure Meinung über die neuesten Maßnahmen der Regierung einholen.«
    »Ich … äh, bin jetzt beschäftigt. Kann das nicht warten? Ich habe mir ohnehin noch keine … äh, Meinung über die Regierungsarbeit in der letzten Zeit bilden können.« Er warf Yanagisawa einen Hilfe suchenden Blick zu.
    In diesem Augenblick sah Yanagisawa den Weg in eine Zukunft vor sich, wie er sie sich ersehnt hatte. Er würde Tsunayohis Geliebter und Vertrauter werden und diesem närrischen jungen Burschen und späteren Diktator seine eigene Meinung aufdrängen. Er, Yanagisawa, würde zum wahren Herrscher Japans werden und die Macht des Shôguns über Leben und Tod seiner Untertanen selbst ausüben.
    »Wir werden beide an der Besprechung teilnehmen«, sagte Yanagisawa. Der Beamte runzelte ob dieser unverschämten Anmaßung die Stirn, doch Tsunayoshi nickte nur zustimmend. Als sie gemeinsam das Gemach verließen, flüsterte Yanagisawa seinem neuen Herrn zu: »Wenn die Besprechung zu Ende ist, haben wir noch alle Zeit der Welt, einander besser kennen zu lernen.«
    Als Tokugawa Tsunayoshi zum neuen Shôgun aufstieg, ernannte er Yanagisawa zu seinem Kammerherrn, der dadurch im Rang über seine einstigen Vorgesetzten erhoben wurde. Yanagisawa beschlagnahmte die Ländereien des Fürsten Takei und verjagte den daimyo und dessen Gefolgsleute – darunter seinen eigenen Vater –, die fortan für sich selbst sorgen mussten. Bald darauf erhielt Yanagisawa verzweifelte Briefe von seinen verarmten Eltern, die ihren Sohn um Gnade anflehten; doch mit hämischer Genugtuung verweigerte dieser der Familie, die ihn zu dem gemacht hatte, was er war, jedwede Hilfe. Aber Yanagisawa vergaß auch nie, wie gefährlich die hohe Stellung war, die er nun innehatte. Noch betete der Shôgun ihn an, doch immer wieder erschienen Rivalen auf der Bildfläche, die um die wechselhafte Gunst Tokugawa Tsunayoshis buhlten. Yanagisawa beherrschte den bakufu, doch keine Herrschaft währte ewig.
    Die brüchige Greisenstimme des Vorsitzenden Makino riss den Kammerherrn aus seinen Gedanken. »Wir sollten über die Gefahr einer Seuche sprechen und uns überlegen, wie wir ernsten Konsequenzen vorbeugen können.«
    »Es wird keine Seuche geben«, sagte Yanagisawa. Inzwischen war es noch dunkler geworden; die Waldwege verschmolzen mit dem schattenhaften Gewirr der Bäume und Sträucher, doch Yanagisawa behielt seinen forschen Schritt bei. »Konkubine Harume wurde vergiftet.«
    Die Ältesten schnappten hörbar nach Luft und riefen: »Vergiftet?« – »Aber davon haben wir noch gar nichts gehört!« – »Woher wisst Ihr das?«
    »Oh, ich habe Mittel und Wege, mir Informationen zu beschaffen.« Tatsächlich hatte der Kammerherr Spitzel in ganz Edo, sogar im Inneren Schloss. Diese Spione behielten die wichtigen Leute ständig im Auge, belauschten deren Gespräche und schnüffelten in deren Häusern herum.
    »Es wird Ärger geben«, sagte Makino. »Was sollen wir tun?«
    » Wir brauchen gar nichts zu tun«, entgegnete Yanagisawa. » Sôsakan Sano ermittelt in diesem

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