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Das Geheimnis

Das Geheimnis

Titel: Das Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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daimyo mit einem müden Seufzer, »dass weder meine Gemahlin noch ich selbst einen Grund dafür hatten, Harume zu ermorden – und das haben wir auch nicht getan. Ich werde die Wonnen, die sie mir bereitet hat, schmerzlich vermissen, und meine Gemahlin war niemals eifersüchtig auf meine Liebschaften mit Harume oder anderen Frauen.« Miyagi stand auf und machte eine schwache Geste in Richtung des Tisches, auf dem die Getränke und Speisen standen.
    Rasch sagte Fürstin Miyagi: »Warte, Vetter, ich helfe dir«, und schenkte ihm Tee ein. Sie gab ihm die Schale in die linke Hand und drückte ihm eine Persimone in die rechte. Einen Augenblick lang bildeten die Arme des Paares einen Kreis, und erstaunt erkannte Sano, wie sehr er dem Wappen der Miyagis ähnelte. Ein erwachsenes Paar Schwäne, der eine das Spiegelbild des anderen, deren Flügelspitzen einander berührten und eine eigenartige Verbindung bildeten, seltsam und harmonisch zugleich …
    Sano fühlte, dass es zwischen dem daimyo und seiner Frau eine tiefe, gefühlsmäßige Verbindung gab, bei der auch Leidenschaft nicht ausgeschlossen war. Während er die Aussagen der beiden überdachte, erkannte Sano, dass er Fürstin Miyagis Geschichte glaubte, sie habe die Untreue ihres Gatten nicht nur geduldet, sondern sogar gefördert. Weniger glaubhaft klang da schon die Aussage des Fürsten, er habe Harume sehr geliebt. Hatte Harume auf irgendeine Weise die Ehe der Miyagis bedroht? Hatte einer der Eheleute – oder beide – Harumes Tod gewollt?
    »Wer konnte noch an das Tuschefläschchen heran, bevor es zu Konkubine Harume gelangte?«, fragte Sano.
    »Der Bote, der es zum Palast gebracht hat«, antwortete Fürstin Miyagi, »und jeder, der bei uns im Haus wohnt. Die Gefolgsleute, die Diener, Schneeflocke und Zaunkönig. Als ich mit dem Fläschchen nach Hause kam, war mein Gemahl nicht daheim, also ließ ich es auf dem Schreibpult stehen und wandte mich anderen Dingen zu. Bevor der Bote sich mit dem Fläschchen auf den Weg zum Palast gemacht hat, sind ein paar Stunden vergangen. Alle möglichen Leute könnten der Tusche etwas beigemischt haben, ohne dass wir davon wussten.«
    Waren das schlichte Tatsachen, oder versuchte die Fürstin, den Verdacht von sich und ihrem Mann auf die anderen Bewohner des Anwesens zu lenken? Vielleicht hegte einer von ihnen einen Groll gegen Harume. »Meine Beamten werden Euch aufsuchen und jeden im Haus vernehmen«, verkündete Sano.
    Fürst Miyagi nickte nur gleichgültig und aß die Frucht. Der Saft rann ihm übers Kinn, und er leckte sich die Finger ab. »Wie Ihr wünscht«, erklärte die Fürstin.
    Und nun zum schwierigen Teil der Vernehmung, sagte sich Sano. »Habt Ihr Kinder?«, fragte er.
    Die Miyagis ließen sich nichts anmerken; ihre Mienen blieben unverändert. Dennoch spürte Sano als erfahrener Ermittler einen plötzlichen Druck in der Luft, als hätte sie sich mit einem Mal ausgedehnt und würde gegen Wände und Decke pressen. Fürstin Miyagi saß regungslos da, den Blick starr nach vorn gerichtet; ihre Wangenmuskeln arbeiteten. Fürst Miyagi sagte: »Nein, wir haben keine Kinder.« In seiner Stimme lag Bedauern. »Da wir keine Söhne haben, war ich gezwungen, einen Neffen als Erben einzusetzen.«
    An der gespannten Atmosphäre, die plötzlich zwischen den Miyagis entstanden war, erkannte Sano, dass er einen wunden Punkt in ihrer Ehe getroffen hatte. Er hegte den Verdacht, dass beide unterschiedliche Gefühle hegten, was ihre Kinderlosigkeit betraf. Und die Antwort des Fürsten enttäuschte Sano. In ihrem Tagebuch schilderte Harume Fürst Miyagi als Voyeur, der sich lieber selbst befriedigte als das Bett mit einer Frau zu teilen. Bedeutete diese sexuelle Vorliebe – in Verbindung mit der Kinderlosigkeit der Ehe –, dass Fürst Miyagi impotent war? War der kränkliche, schwächliche und dümmliche Shôgun, der überdies zu gleichge schlechtlicher Liebe neigte, doch der Vater von Harumes Kind?
    Der Gedanke, Tokugawa Tsunayoshi berichten zu müssen, dass mit Harume auch sein ungeborenes Kind gestorben war, erfüllte Sano mit Entsetzen, zumal dies bedeuten würde, dass die weiteren Ermittlungen in dem Mordfall unter erheblich größerem Erfolgsdruck standen. Falls Sano versagte, würde der Shôgun ihn einen schmählichen Tod sterben lassen. Und bislang hatte die Vernehmung weder den Fürsten noch seine Frau auf irgendeine Weise belastet. Dennoch gab Sano die Hoffnung nicht auf.
    »Soviel ich gehört habe, Fürst Miyagi«, sagte er

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