Das Geheimnis
froh, dass unsere Beziehung erst nach Harumes Tod bekannt geworden ist, denn nun spielt es wohl kaum mehr eine Rolle. Also fragt mich ruhig, was Ihr wissen wollt.«
Sano verbesserte den Fürsten absichtlich nicht, der offenbar der irrigen Ansicht war, die metsuke – die Spitzel der Tokugawa – hätten seine Beziehung zu Harume aufgedeckt; anscheinend wusste er nichts von Harumes Tagebuch, das Sano als möglichen Trumpf in der Hinterhand behalten wollte. »Vielleicht sollten wir uns allein unterhalten«, sagte Sano mit einem Blick auf Fürstin Miyagi. Er musste die intimen Einzelheiten der Liebesaffäre erfahren, die der Fürst vermutlich vor seiner Frau verbergen wollte.
Doch Fürst Miyagi erwiderte: »Meine Gemahlin bleibt hier. Sie weiß bereits alles über die Beziehung zwischen Konkubine Harume und mir.«
»Mein Gemahl ist mein Vetter«, erklärte die Fürstin. »Es war eine Zweckehe zwischen uns beiden.« Tatsächlich besaß sie eine verblüffende Ähnlichkeit mit ihrem Mann: die gleichen Gesichtszüge, die gleiche faltige Haut, der gleiche hagere, schlaksige Körper. Doch im Unterschied zu ihrem Gemahl hielt die Fürstin sich stolz und gerade; ihre braunen Augen funkelten entschlossen, und ihr ungeschminkter Mund war fest. Sie besaß eine tiefe, fast männliche Stimme. Während Fürst Miyagi Empfindlichkeit und Schwäche ausstrahlte, schien die Fürstin eine strenge, resolute Frau zu sein. »Es gibt keinen Grund für uns, irgendetwas voreinander zu verheimlichen.«
Als Sano schwieg, fuhr sie fort: »Aber es dürfte wohl besser sein, wenn Ihr, sôsakan, mein Gemahl und ich unter uns sind. Schneeflocke? Zaunkönig?« Die Fürstin winkte den beiden Mädchen, die sich erhoben, zur ihr kamen und vor ihr niederknieten. »Dies sind die Konkubinen meines Gatten«, erklärte Fürstin Miyagi zu Sanos Erstaunen, denn er hatte sie für die Töchter des Paares gehalten. Die Fürstin gab den beiden Mädchen einen mütterlichen Klaps auf die Wange. »Ihr könnt jetzt gehen«, sagte sie. »Übt weiter auf den Instrumenten.«
»Ja, Herrin«, erwiderten die Mädchen wie aus einem Munde, verbeugten sich und verließen das Gemach.
»Ihr habt also gewusst, dass Euer Gemahl sich heimlich mit Harume in Asakusa getroffen hat?«, fragte Sano die Fürstin.
»Natürlich.« Der Mund der Frau verzog sich zu einem Lächeln, sodass ihre geschwärzten Zähne zu sehen waren. »Ich selbst habe die beiden zusammengebracht. Schließlich ist es meine Pflicht, für das Vergnügen meines Gemahls zu sorgen.« Der Fürst, der neben ihr träge auf den Kissen lag, nickte selbstzufrieden. »Ich suche ihm seine Konkubinen und Kurtisanen aus«, fuhr die Fürstin fort. »Letzten Sommer habe ich Harume kennen gelernt und sie meinem Gemahl vorgestellt. Ich habe mich um jedes ihrer Treffen gekümmert, indem ich Harume Briefe geschickt habe, in denen ich ihr mitteilte, wann sie im Gasthof erscheinen solle.«
Manche Frauen nehmen Unglaubliches auf sich, um ihren Männern zu Diensten zu sein, sinnierte Sano. Er verspürte Abscheu, hatte zugleich aber den Wunsch, Reiko möge ein wenig von der Bereitschaft Fürstin Miyagis haben, ihrem Mann gefällig zu sein. »Ihr seid ein großes Wagnis eingegangen, dass Ihr Euren Gemahl mit einer Konkubine des Shôguns zusammengebracht habt.«
»Oh, die Gefahr erregt mich«, meldete der Fürst sich zu Wort, reckte sich und befeuchtete sich mit der Zunge die Lippen.
Offenbar war Miyagi fleischlichen Gelüsten verfallen und schien sich jeder körperlichen Empfindung gewahr zu sein; selbst seinen Umhang trug er auf eine Weise, als würde er die sanfte Liebkosung der Seide auf der Haut spüren. Er griff nach einer Pfeife auf einem Metalltablett, entzündete sie, nahm einen genüsslichen Zug und seufzte, als er den Rauch ausblies. Miyagis Wohlbehagen war so offenkundig, dass er in seiner Behäbigkeit beinahe kindlich wirkte. Doch hinter seinen wässrigen, verschleierten Augen erkannte Sano einen finsteren Schatten und musste daran denken, was man sich über die Miyagis erzählte.
Die Miyagis waren eine vergleichsweise unbedeutende Adelsfamilie, die eher für ihre sexuellen Ausschweifungen als für ihren politischen Einfluss bekannt war. Es gab Gerüchte über Ehebruch, Inzucht und Perversionen sowohl bei den weiblichen als auch bei den männlichen Familienangehörigen, doch durch Bestechung und Gewalt hatten die Miyagis sich vor behördlicher Verfolgung geschützt. Der derzeitige daimyo war dieser fragwürdigen
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