Das Geheimnis
geradeheraus, »hat Harume sich entkleidet und sich selbst befriedigt, wobei Ihr sie durch ein Loch im Fenster beobachtet habt.« Sollte der daimyo ruhig verärgert sein – Sano konnte keine Rücksicht darauf nehmen, wollte er sein Leben retten.
»Bei den Göttern, den metsuke entgeht wirklich nichts«, sagte Fürst Miyagi und schüttelte den Kopf. »Ja, das stimmt. Aber ich wüsste nicht, weshalb das Euch etwas angehen sollte.« Fürstin Miyagi rührte sich nicht, sagte kein Wort und gönnte Sano keinen Blick mehr. Dem sôsakan schlug nun spürbar Feindseligkeit entgegen; die Miygis waren wütend auf ihn, weil er so sehr in die Einzelheiten ging.
»Habt Ihr jemals mit Harume geschlafen?«, fragte er den Fürsten.
Der daimyo ließ ein unsicheres Kichern hören und schaute seine Frau an. Als diese keinerlei Anstalten machte, ihm zu helfen, antwortete er mit einem Hauch von Zorn in der Stimme: »Also wirklich, sôsakan, Eure Fragen grenzen an Beleidigung. Ihr bringt mir und meiner Gemahlin nicht die gebührende Achtung entgegen. Welche Bedeutung kann eine solche Frage im Hinblick auf Harumes Tod haben?«
»Bei den Ermittlungen in einem Mordfall kann sich jede Kleinigkeit im Leben des Opfers als wichtig erweisen«, antwortete Sano. Über Harumes Schwangerschaft durfte er kein Wort verlieren, bevor er nicht mit dem Shôgun gesprochen hatte; Tokugawa Tsunayoshi würde wütend werden, sollte er durch die Gerüchteküche davon erfahren, anstatt von Sano selbst. »Bitte, beantwortet meine Frage.«
Der Fürst seufzte; dann schüttelte er den Kopf und senkte den Kopf. »Also gut. Nein, ich habe nicht mit Harume geschlafen.«
»Natürlich nicht!«, stieß Fürstin Miyagi zornig hervor, deren Ausbruch Sano erstaunte und sogar den Fürsten erschreckte, der sich mit einem Ruck aufsetzte. Die Fürstin blickte Sano finster an und fragte mit scharfer Stimme: »Glaubt Ihr vielleicht, mein Mann ist so dumm, dass er sich an einer Konkubine des Shôguns vergreift und damit sein Leben riskiert? Er hat Harume niemals angerührt. Kein einziges Mal. Er wollte es auch nie!«
Wollte er es nicht, oder konnte er es nicht? »Ihr habt gesagt, Ihr selbst hättet Eurem Gatten Harume zugeführt. Von der Gefahr einmal abgesehen … Weshalb erzürnt Euch der Gedanke so sehr, dass Euer Gemahl Harume angerührt haben könnte, wo Ihr doch sicher seid, dass er es nicht getan hat?«
»Es erzürnt mich überhaupt nicht.« Es fiel der Fürstin sichtlich schwer, die Fassung wiederzuerlangen. Hässliche rote Flecken erschienen auf ihren Wangen. »Ich glaube, ich habe meine Einstellung bereits deutlich gemacht, was die Frauen meines Herrn und Gemahls betrifft«, sagte sie kalt.
In der nun einsetzenden Stille verkroch der Fürst sich beinahe zwischen den Kissen, als würde er am liebsten darunter verschwinden. Unruhig spielten seine Finger mit einer Falte seines Seidenumhangs. Fürstin Miyagi saß wie erstarrt da und biss sich auf die Unterlippe. Aus einem Zimmer den Gang hinunter war das helle Lachen der Konkubinen zu hören. Sano spürte, dass die Miyagis ihn belogen hatten. Aber um was ging es dabei? Um ihr Verhältnis zu Harume? Oder um die Gefühle, die sie für die Konkubine gehegt hatten? Wussten sie schon von Harumes Schwangerschaft, weil Fürst Miyagi der Vater des Kindes war? Und warum verbargen sie die Wahrheit? Um einen Skandal zu vermeiden? Um einer Strafe wegen der verbotenen Liebschaft zu entgehen … oder einer Mordanklage?
»Es ist spät geworden, sôsakan-sama«, sagte Fürstin Miyagi schließlich. Ihr Ehemann nickte, offenbar erleichtert, dass seine Gattin wieder die Gesprächsführung übernommen hatte. »Falls Ihr noch weitere Fragen habt, dann seid so freundlich und kommt ein andermal wieder.«
Sano verneigte sich. »Vielleicht nehme ich Euch beim Wort«, sagte er und erhob sich. Dann wandte er sich noch einmal an Fürst Miyagi. »In welchem Gasthof fanden Eure Treffen mit Harume statt?«
Fürst Myiagi zögerte; dann antwortete er: »Im Gasthaus Tsubame in Asakusa.«
Als Sano aus dem Zimmer geleitet wurde, schaute er über die Schulter und sah, wie die Miyagis ihm mit ernsten, unergründlichen Blicken hinterherschauten. Als er durch das Tor war, konnte er beinahe körperlich spüren, wie ihre seltsame, abgeschottete Welt sich hinter ihm wieder schloss. Was blieb, war ein scheußliches Gefühl der Unsauberkeit, als hätte die Berührung mit dieser Welt Sanos Geist besudelt. Dennoch musste er ihre Geheimnisse erkunden – falls
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