Das Geheimnis
mit durchgeschnittener Kehle, in einer Pfütze seines eigenen Bluts. Er hatte niemandem etwas zuleide getan. Sein einziger Fehler war gewesen, dass er mich bei den Ermittlungen in einem Mordfall begleitet hatte.«
Reikos Augen weiteten sich vor Entsetzen, und ihre Stimme wurde leise und stockend. »Aber … dir ist nichts geschehen.«
»Nur dank der Gnade der Götter. Ich wurde angegriffen – mit dem Dolch, dem Schwert, dem Speer und mit Schusswaffen. Man hat mir aufgelauert und mir Fallen gestellt. Ich wurde verprügelt – öfter, als ich mich erinnern möchte. Du kannst mir glauben, wenn ich dir sage, dass die Arbeit eines Ermittlers gefährlich ist. Sie kann dich das Leben kosten!«
Reiko starrte ihn an. »Das alles ist geschehen, als du Nachforschungen angestellt und Mörder gejagt hast?«, fragte sie leise. Spott und Zorn waren aus ihrer Stimme verschwunden. »Du hast dein Leben riskiert, um das Richtige zu tun, obwohl du wusstest, dass es Leute gab, die dich töten würden, um dich aufzuhalten?«
Die wieder erwachte Bewunderung in Reikos Augen bewegte Sano stärker, als ihr Trotz es getan hatte. Er nickte stumm.
»Das wusste ich nicht.« Reiko trat zögernd einen Schritt auf ihn zu. »Es tut mir Leid.«
Sano stand wie gelähmt da. Er spürte bei seiner jungen Frau eine Hingabe an Recht und Gerechtigkeit, die der seinen in nichts nachstand; auch Reiko war bereit, sich für Grundsätze und Ideen zu opfern: für die Ehre, die Wahrheit, die Wahrhaftigkeit. Dass diese Geistesverwandtschaft eine der Grundlagen ihrer Liebe war, war ein Gedanke, der Sano gleichermaßen erregte wie erschreckte.
Und dann sah er, dass Reiko dieselben Gedanken hegte, und dass ein wortloser Austausch zwischen ihnen stattgefunden hatte. Reikos Gesicht strahlte vor Freude, und sie streckte ihm die schlanke rechte Hand entgegen. »Ich weiß, was du empfindest«, sagte sie, und ihre Leidenschaft machte sie noch schöner. »Lass uns Seite an Seite stehen. Lass uns gemeinsam der Wahrheit und Ehre dienen. Zusammen können wir das Geheimnis um den Mord an Harume lüften!«
Die Aussicht, eine Partnerin zu haben, die sich an seiner Mission beteiligte, war nahezu unwiderstehlich für Sano. Er verspürte den überwältigenden Wunsch, die Hand zu ergreifen, die Reiko ihm darbot; doch er durfte seine Frau nicht in das gefährliche Netz seines Berufs hineinziehen. Und er kannte seine Fehler und Schwächen und wollte nicht, dass Reiko sie mit der Zeit übernahm. Denn wie hätte er mit einem Menschen leben können, der so starrköpfig, leichtsinnig und hartnäckig war wie er selbst? Noch immer hielt er an dem Traum fest, eine brave, treu ergebene Frau zu bekommen, ein friedliches Zuhause.
»Nun kennst du die Gründe«, sagte Sano, »weshalb es mir lieber wäre, dass du dich von einer Angelegenheit fern hältst, die nichts für dich ist. Ich habe meine Entscheidung getroffen – und sie ist endgültig.«
Reiko nahm die Hand wieder herunter. Schmerz legte sich wie ein düsterer Schatten auf ihr Gesicht, doch sie blieb entschlossen. »Gilt meine Ehre weniger als deine, nur weil ich eine Frau bin? Darf ich nicht auch mein Leben aufs Spiel setzen, wenn ich dazu bereit bin, um Verbrecher zu jagen?«, fragte sie. »Auch in meinen Adern fließt Samurai-Blut. In vergangenen Jahrhunderten wäre ich an deiner Seite in die Schlacht geritten. Warum nicht jetzt?«
»Weil es nun einmal so ist! Die Zeiten haben sich geändert. Es ist deine Pflicht, mir zu dienen, hier in unserem Heim, und ich verlange, dass du diese Pflicht erfüllst.« Sano wusste, wie schwülstig er sich anhörte; dennoch stand er hinter jedem seiner Worte. »Alles andere wäre eine selbstsüchtige und vorsätzliche Missachtung deiner Pflichten als Ehefrau.«
Kaum hatte Sano geendet, da wurde ihm auch schon die Ironie der Situation bewusst. Ausgerechnet er, der seine familiären Pflichten so oft vernachlässigt hatte, um persönliche Ziele zu erreichen, kritisierte nun Reiko, obwohl sie genau das Gleiche wollte wie er. In seiner Ratlosigkeit brachte er wieder das Thema zur Sprache, das ihren neuerlichen Streit ausgelöst hatte. »Und jetzt sag mir, weshalb du in Ginza gewesen bist. Ging es da auch um Weibergeschwätz, wie bei deiner Cousine in Nihonbashi?«
»Wenn du meine Arbeit herabwürdigst, verdienst du keine Antwort.« In Reikos melodischer Stimme schwang nun stählerne Härte mit, und ihr Gesicht war wie aus Stein gemeißelt. »Aber du willst meine Hilfe bei deinen Nachforschungen
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