Das geheimnisvolle Gesicht
an.
Es war 20 Uhr 45.
„Wie lange werden wir bis zum Hotel brauchen?“
„Wenn wir gut durchkommen, zwanzig Minuten, meine ich. Aber um diese Zeit kommt man meist gut durch!“ Der Fahrer deutete auf den Koffer, den Perry Clifton auf den Knien hielt. „So viel Platz im Wagen.“
„Eine alte Angewohnheit von mir. Sie meinen also, daß wir vor 21 Uhr 30 im Hotel sind!?“
„Leicht“, brummte der Mann in der Lederjacke. „Lässig! Da könnten’s leicht zwischendurch noch a Brotzeit mach’n!“
„Bitte?“
„Ich meine, da könnten Sie zwischendurch noch etwas essen gehen! Kommen Sie aus England?“
„Stimmt! Sie haben ein gutes Ohr. Aus London!“
„Ja mei, aus London kimmt der! Brrr...“
„Was gefällt Ihnen nicht an London?“
„Der Nebel!“ kam es wie aus der Pistole geschossen. „Es muß doch grauslig sein, ewig einen Nebel zu haben!“
„Wer hat Ihnen denn erzählt, daß in London ewig Nebel ist?“
„Erzählt? Gelesen hab ich’s! In Krimis und so weiter! Stimmt das vielleicht nicht?“
„Nein. Ich glaube, daß Sie nicht die richtigen Krimis gelesen haben. Natürlich gibt es bei uns Tage und auch Nächte, wo man den Nebel in Scheiben schneiden kann. Aber das ist weder die Regel, noch beschränkt sich das auf London. Das finden Sie in anderen Städten, die an großen Flüssen oder am Meer liegen, auch.“
„Hm“, es schien, als müsse der Taxifahrer erst über diese Worte nachdenken. Er machte noch zweimal „Hm“, und schloß das Thema Nebel mit der Feststellung ab: „Also, bei starkem Nebel ist bei mir der Ofen aus! Da laß ich meinen Karren in der Garage...“
„Ist das Hotel am Hofgarten ein großes Hotel?“
„Groß? Na, ein großes Hotel ist das nicht. Aber es liegt sehr günstig, weil es genau im Zentrum ist. Und ruhig ist es, weil es ein Gartenhaus ist!“
„Gartenhaus?“ Perry Clifton konnte sich unter diesem Begriff im Zusammenhang mit einem Hotel nichts vorstellen.
„Na, weil es nicht direkt an einer Verkehrsstraße liegt, sondern nach hinten raus, heißt man es Gartenhaus!“
„Aha...“
Trotz einer Stockung am Max-Weber-Platz erreichten sie das Hotel kurz nach 21 Uhr 10. „Da durch den Torbogen müssen’s gehen!“ erklärte der Fahrer, tippte sich an den nicht vorhandenen Mützenschirm und schob sich die kalte Stummelpfeife wieder zwischen die Lippen.
Perry Clifton durchquerte die Toreinfahrt. Über einen kleinen Vorplatz, der mit fünf PKWs vollgestellt war, ging es zum erleuchteten Hoteleingang. Der Fahrer hatte recht: Obwohl er sich mitten in einer Großstadt befand, glaubte er sich in eine Oase der Stille versetzt. Wie gefiltert drangen die Geräusche der anbrechenden Nacht hierher. Aus irgendeinem geöffneten Fenster wehte Radiomusik in den Hof.
Die Rezeption befand sich nur wenige Meter hinter der Tür. Sie war klein und schmal, ebenso wie der Gang, der zu einer Treppe und zu den übrigen ebenerdigen Räumen führte. Es gab weder ein topfpflanzengeschmücktes Foyer noch eine mit Aquarien ausgestattete Hotelhalle. Alles war klein, eng, jedoch irgendwie zweckmäßig eingepaßt.
Ein älterer, wohlbeleibter, Gemütlichkeit ausstrahlender Herr füllte die winzige Rezeption.
Er telefonierte. „Nein, wir sind voll belegt!“ sagte er zu einem Anrufer, während er Clifton mit der Linken, um Geduld bittend, zuwinkte. Er schien Nachtportier, Empfangschef und „Telefonistin“ in einer Person zu sein.
„Mein Name ist Clifton. Ich hatte von Basel aus ein Zimmer bestellt...
„Herr Clifton, Moment... Sie haben...“ wieder der suchende Zeigefinger. „Sie haben Nummer 9 im ersten Stock. Zimmer mit Dusche!“ Er angelte den Schlüssel vom Haken und wollte Perry Clifton nach oben begleiten, als das Telefon schon wieder zu schnurren begann.
„Ein verrückter Tag heute. Hier, wenn Sie schon in Ihr Zimmer gehen wollen. Die Anmeldung können sie ja später noch ausfüllen... Ja, Hotel am Hofgarten...“
Perry Clifton nickte und ging nach oben.
Er würde die Anmeldung später ausfüllen und dabei gleich nach Claire Lamatin fragen...
Doch es sollte anders kommen.
Es klopfte!
„Herein!“
Der Portier, eine Spur außer Atem, hielt ihm einen Brief entgegen. „Entschuldigen Sie bitte, Herr Clifton. Aber über der Telefoniererei habe ich ganz Ihren Brief vergessen.“
Perry glaubte sich verhört zu haben. „Für mich? Sind Sie sicher?“ Träumte er? Wie lange war es her, daß man ihm schon einmal einen Brief übergeben hatte? Durch die
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