Das geheimnisvolle Gesicht
entlang von Dover nach Folkestone führt.
Es war die gleiche Straße, die am 23. September 1971 auch Claire Burton gefahren sein mußte.
Perry Clifton war so in Gedanken vertieft, daß er prompt Hinweisschild samt Abzweigung überfuhr. Er hielt sich scharf links und ließ einige Wagen, die sich hinter ihm gehalten hatten, vorbei. Dann rollte er vorsichtig im Rückwärtsgang zurück. Grobe Verkehrsgefährdung würde die Verkehrspolizei sein Vorgehen nennen, und Perry Clifton mühte sich darum, das zu empfinden, was man Schuldgefühl nennt.
Endlich konnte er links abbiegen.
DUNCAN HILL 1 MEILE stand auf dem verwitterten Schild.
Schon nach der ersten Biegung entdeckte er in der Ferne den Turm einer offensichtlich äußerst kleinen Kirche sowie mehrere ziegelgedeckte Dächer.
Das mußte Duncan Hill sein...
Daß es wirklich nur ein kleiner Ort sein konnte, hatte Clifton schon daran festgestellt, daß er auf seiner Autokarte nicht zu finden war.
Er bog in Duncan Hill ein. Eine saubere, schmale Straße, gepflastert mit Steinen aus Granit, führte zur Ortsmitte. Ringsum niedrige Häuser aus silbergrauem Kalkstein. Das nächsthöchste, nach der Kirche, besaß zwei Oberstockwerke.
Auf dem winzigen Platz standen drei Autos, eines davon ein Veteran, für den woanders sicher ein Liebhaberpreis bezahlt worden wäre. Zwei Kinder spielten neben den Autos. Ein junges Mädchen mit einem Korb in der Hand trat aus einem Haus, dessen Längsseite der Name GREYHOUND HOTEL zierte. Dabei sah das „Hotel“ eher nach einem umgebauten Pferdestall aus.
Clifton, der im Schrittempo gefahren war, stoppte, stellte den Motor ab und stieg aus. „Hallo, Miß!“
Das Mädchen drehte sich um und sah ihm entgegen. Sie war höchstens 17 Jahre alt. Als er noch wenige Meter von ihr entfernt war, sagte sie: „Wenn Sie ein Zimmer wollen, Mister, gehen Sie nur immer hinein. Mein Vater kommt gleich zurück, er ist nur für einen Augenblick zum Schmied gegangen.“
Perry Clifton lächelte sie an. „Ich möchte kein Zimmer, sondern nur eine Auskunft. Es muß in Duncan Hill einen alten ehemaligen Leuchtturmwärter geben. Können Sie mir sagen, wie er heißt und wo ich ihn finde?“
„Gern!“ Das Mädchen nickte. Sie zeigte in Richtung Süd, vorbei an den spielenden Kindern: „Sehen Sie, gleich hinter dem Platz kommen Sie auf eine Straße, die zum Wasser führt. Sie müssen an fünf Häusern vorbei. Das erste ist McQuire, das zweite Joe Murrey, das dritte Mabel Henderson, das vierte Gene Tyers und das fünfte Violet Silverstone.“
Sie hatte alle Namen hintereinander, ohne Atem zu schöpfen, aufgezählt, und Perry Clifton nutzte ihr Luftholen zu der raschen Frage: „Und in welchem wohnt der Leuchtturmwärter?“
Sie sah ihn amüsiert an, ungefähr so, wie ein Dorfkind einen Mann aus der Stadt ansieht, der fragt, wieviel Milch die Kuh denn gebe? Und das, wo die Kuh in Wirklichkeit keine Kuh, sondern ein Ochse ist. „In keinem, Sir!“ (Vorhin hatte sie noch Mister gesagt!!) „Sie müssen an allen fünf Häusern vorbeifahren. Nach dem letzten, dem von Violet Silverstone, wird die Straße ein bißchen enger. Fahren Sie trotzdem weiter. Nach ungefähr dreihundert Metern sind Sie da!“
„Sie sollten Fremdenführerin werden, Miß! So gut hat mir noch nie jemand den Weg erklärt!“ lobte Perry Clifton, und dann fiel ihm noch eine wichtige Frage ein: „Wie heißt der Mann eigentlich?“
.John Aston, Sir!“
„Vielen Dank!“
„Wenn Sie länger in Duncan Hill bleiben, dann sollten Sie Vaters Küche probieren. Die Leute sagen, daß er gut koche!“ Und verschmitzt: „Und nehmen Sie sich vor John Aston in acht!“
„Wieso — beißt er?“
„Nein, aber er hat eine Menge Stacheln!“ Und mit einem fröhlichen hellen Lachen ging sie, ihren Korb schwenkend, davon.
Als Perry Clifton den Wagen anließ, verschwand sie gerade in einem Haus, über dessen Tür eine aufgeklappte Schere hing. Vielleicht ein Scherenschleifer... Oder eine Schneiderin?
Sekunden später erreichte der Detektiv die angegebene Straße, die als Straße zu bezeichnen pure Hochstapelei war.
Er fuhr an dem ersten Haus vorbei... war es das von Joe Murrey oder Gene McQuire? Oder hieß McQuire gar nicht Gene? Haus Nummer vier war sicher schon an die tausend Jahre alt. Nichts war an ihm mehr gerade, und man war versucht stehenzubleiben, um auf das Einstürzen zu warten. Doch hinter den schiefen Fenstern hingen duftige, weiße Gardinen, und aus dem schiefen Schornstein
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