Das geheimnisvolle Gesicht
Sutter. „Was ich einmal gehört habe, vergesse ich so schnell nicht.“
„Dann scheint Ihr Empfangschef also die Wahrheit gesagt zu haben, als er von Ihrem phänomenalen Gedächtnis sprach.“
„Ach, Sie kommen vom Hotel!“ Er schob den Schlüssel ins Schloß.
„Ich bin Detektiv, Herr Sutter, und führe Ermittlungen im Auftrag einer Versicherung durch. (Oder sollte er diesmal die Wahrheit sagen?) So wie es aussieht, scheinen Sie in ganz Basel der einzige Mensch zu sein, der mir weiterhelfen kann.“
„Na, dann kommen Sie mal herein!“ Sutter stieß die Tür auf und ließ Clifton den Vortritt. Das erste, was dieser wahrnahm, waren merkwürdige Geräusche und Gerüche.
„Ich war grad auf dem Dachboden die Tauben füttern...“
„Brieftauben?“
„Nein, nein, ganz gewöhnliche Tauben.“ Er seufzte: „Hab eine Menge Ärger wegen der armen Viecher... Moment, ich will mir nur die Hände waschen!“ Er trat in einen Raum zur Rechten. Neonlicht knisterte auf. Ein kleiner Raum mit Waschbecken. Während sich der Portier die Hände wusch, sprach er in bitterem Ton weiter: „Da regen sich die Leute wegen der paar Tauben auf, die angeblich die Häuser und die Kultur verscheißen... Entschuldigen Sie bitte, wenn ich es so kraß ausdrücke, aber die gleichen Leute stört es keine Sekunde lang, daß zur gleichen Zeit überall in der Welt Kinder, Frauen und Männer verhungern... Es ist ein Jammer!“
„Sie sind wohl ein großer Tierfreund, Herr Sutter?“
„Kommen Sie, ich zeige Ihnen was!“
Die Wohnung mußte, der Anzahl der Türen nach zu schließen, sehr geräumig sein. Er ging auf eine Tür zu, öffnete sie, ließ Clifton eintreten und schloß sie sofort wieder hinter sich.
Sie standen in einem großen Raum. Fast ein Viertel davon bestand aus einer Vogelvoliere, in der sich einige Dutzend buntgefiederte Vögel tummelten.
Es gab drei Katzen, zwei Familien weißer Mäuse und einen riesigen schwarzen Raben. Zwei Igel und mehrere Schildkröten vervollkommneten den Etagenzoo.
Die Frage nach Geruch und Geräuschen war beantwortet: Es roch ein wenig nach Zoohandlung, und für die Lautmalerei sorgten die Vögel. Überall standen Futternäpfe und Gefäße mit Milch und Wasser herum. Der Rabe macht raaaraaa und marschierte, schwankend wie ein betrunkener Seemann, auf Sutter zu, der sich zu ihm hinunterbeugte und den Daumen hinhielt. Hops!! Sutter richtete sich auf. „Das ist Cäsar! Er ist der Chef hier! Sein scharfer Schnabel sorgt für Ordnung!“
Perry Clifton hielt Cäsar seinen Daumen hin. Ein Angebot, das der Herrscher dieses Reiches zum Anlaß nahm, mit ausgebreiteten Flügeln auf einen Holzblock zurückzukehren. Dafür näherte sich ein Igel.
„Das ist Anatol... und die andere dort hinten ist Chlothilde!“ Das Geschrei der Vögel hinter dem feingeflochtenen Maschendraht war zurückgegangen zum gewöhnlichen Piep-Piep der Vogelsprache. Ein Zeichen, daß sie sich beruhigt hatten...
„Gehen wir ins Wohnzimmer!“ schlug Adolf Sutter vor.
Sie gingen.
Später sagte er: „Wissen Sie, viele Leute halten mich für übergeschnappt! Für einen, der den anderen sagen möchte, daß die Tiere besser sind als die Menschen. Aber das stimmt nicht... Ich hatte nie eine solche Absicht. Und wenn ich zurückdenke, so begann eigentlich alles nur damit, daß ich beweisen wollte, daß es keine angeborene Todfeindschaft unter den Tieren verschiedener Gattungen gibt... Nun, inzwischen habe ich’s bewiesen! Meine Vögel haben keine Angst vor den Katzen, und meine Katzen fressen keine Vögel und keine Mäuse! Die beiden Igel, sonst Nachttiere und ebenfalls Mäusefresser, spielen mit diesen, und wenn sich Cäsar, der Rabe, vor Katinka, die Katze, hinhockt, dann reibt sie ihren Kopf an seiner Brust, während er sie zärtlich ins Ohr zwickt... Das alles zu wissen und zu sehen macht mich sehr glücklich und bringt viel Spaß. Bin ich deswegen verrückt oder ein Sonderling?“
„Sie sollten gern ein Sonderling sein, Herr Sutter!“ antwortete Perry Clifton, und er meinte es ehrlich. „Sonderlinge hatten es schon immer schwer, aber sie waren auch immer etwas Besonderes. Sie, die sogenannten Verrückten, die Neugierigen und die Ausprobierer haben unsere Welt zu dem gemacht, was sie heute ist. Vielleicht wären wir ohne sie noch immer in der Steinzeit.“ Und dann fiel Clifton noch etwas ein: „Seit genau vier Tagen arbeite ich an diesem Fall. Und in diesen vier Tagen bin ich drei Männern begegnet, die man, ihrem Eifer
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