Das geheimnisvolle Gesicht
bitte!“
Madame Claire Bloyer! Die Anfangsbuchstaben blieben unverändert. C. B. für Claire Burton. C. B. für Claire Bloyer. Aber konnte es nicht sein, daß Madame Bloyer gar nicht Claire hieß? Vielleicht Jacqueline? Oder Nadine? Vielleicht auch Chantal? Ja, Chantal gefiel ihm am besten...
„Bitte, was haben Sie eben gesagt?“
„Ich sagte: Verzeihen Sie, mein Herr, aber wir sind ein vegetarisches Restaurant! Bei uns gibt es keine Steaks!“ Zum ersten Mal sah Perry die „Stimme“ neben sich an. Sie war weiblich, sehr klein, sehr rund, sehr jung und von der Natur mit einem unheimlichen Gebiß ausgestattet. Selbst wenn sie wie jetzt den Mund geschlossen hielt, lugten die beiden oberen Schneidezähne angriffsbereit durch die Lippen... Ein Hase! durchfuhr es Perry Clifton. Sie sieht aus wie ein Hase oder wie ein Kaninchen... Doch dann schämte er sich des Vergleiches.
„Bringen Sie mir bitte eine Salatplatte!“ bat er freundlich; schon jetzt entschlossen, seinen hinterhältigen Vergleich mit einem großzügigen Trinkgeld wiedergutzumachen.
„Bitte sehr, der Herr. Eine Salatplatte!“ sagte sie und präsentierte mindestens zwanzig Zähne auf einen Schlag.
Er würde also einfach vor sie hintreten und sagen: „Hallo, Miß Miller...“ Nein, Miller war albern. Er würde... wie wär’s mit... natürlich, daß ihm das nicht gleich eingefallen ist. Also, er würde vor sie hintreten und sagen: „Hallo, Missis Skiffer, das ist aber eine Überraschung!“ Hm, vielleicht schlug sie ihm dann den Regenschirm — manche Frauen haben immer einen Regenschirm zur Hand — auf den Kopf. Oder sie rief nach der Polizei...
Nein, ich werde sie nicht ansprechen... vorläufig jedenfalls nicht! Ich werde sie zunächst einmal nur beobachten! Natürlich könnte er auch sagen...
„Bitte, Ihre Salatplatte, mein Herr!“
„Danke!“
...Natürlich könnte er auch sagen: „Hallo, Missis Burton, lange nicht gesehen!“ Aber Missis Burton war ja tot... Das heißt, man nahm an, daß sie tot war.
Burton zum Beispiel...
Hamilton zum Beispiel...
John Aston zum Beispiel...
Die Polizei von Folkestone zum Beispiel! Sie alle nahmen es an!
Und er? Nahm er es auch an?
Zum ersten Mal, seit ihn dieser Fall beschäftigte, tat Perry Clifton etwas, von dem er später sagte, daß er nicht wisse, was ihn dazu veranlaßt habe: Er öffnete die Tasche, zog Claire Burtons Porträtaufnahme heraus und betrachtete sie lange und nachdenklich...
Als er sie endlich zurücksteckte, war er sich klar darüber, was er zu ihr sagen würde...
Gespannt fischte er ein blasses Salatblatt unter einer leicht erröteten Tomate hervor und kostete. Es schmeckte sehr vegetarisch. Und während er noch darüber nachdachte, aus welchen Ländern die einzelnen Gemüsearten wohl eingeflogen worden waren, musterte ihn „Mäusezähnchen“ mißbilligend.
„Wenn Ihnen der Salat nicht schmeckt, probieren Sie doch mal unseren Gemüsecocktail!“
„Oh, ich habe nichts gegen die Salatplatte... Ich staune nur eben, wieviel Salat auf einer einzelnen Platte Platz hat.“
Als er zahlte, gab er ihr drei Franken Trinkgeld.
Um 14 Uhr betrat Perry Clifton die Halle des Hotels Bristol. Nach einem kurzen informierenden Rundblick — er rechnete sich inzwischen zu den Hotel-Empfangshallen-Spezialisten — steuerte er auf die Rezeption zu.
Eine Angestellte in vornehmen Schwarz fragte nach seinem Begehr.
Perry Clifton verbeugte sich kurz. „Bitte, können Sie mir sagen, ob Madame Bloyer augenblicklich im Haus ist?“
Ein Augenpaar musterte ihn sichtlich befremdet. Und ein blaßrot geschminkter Mund sagte: „Madame Bloyer? Madame Bloyer wohnt nicht mehr bei uns.“ Da sie gleichzeitig in ihrem Buch zu blättern begann, entging ihr Cliftons tiefe Enttäuschung.
„Herr Sutter sagte mir, daß sie mehrere Wochen zu bleiben beabsichtigte.“ Sie sah auf, erinnerte sich: „Ja, Herr Sutter... Stimmt! Sie hat drei Wochen bei uns gewohnt. Am 17. März ist sie abgereist!“ Und da ihr in diesem Augenblick einfiel, daß heute auch Freitag war, stellte sie fest: „Heute vor acht Tagen also!“ Sie zuckte bedauernd mit ihren schmalen Schultern und sagte ebenso bedauernd: „Tut mir leid...“
Perry Clifton hatte sich inzwischen wieder gefaßt und beschloß, in seine frühere Rolle zurückzuschlüpfen. Er legte seine Stirn in bekümmerte Falten und flüsterte traurig: „Unangenehm, unangenehm... Sie wird untröstlich sein, daß ich sie verpaßt habe
(Jetzt hielt er wirklich den
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