Das Geheimnisvolle Haus : Kriminalroman
ihre Haltung schwerer, ihre Interessen wahrzunehmen. Ich bin ein offener, ehrlicher Engländer, und ich sage geradeheraus, was ich meine.« Er schlug mit der Hand auf den Tisch. »Doris Grays Gemüt wird vergiftet und gegen mich aufgestachelt, obwohl ich doch keine andere Absicht habe, als ihr treu und ergeben zu dienen.«
Graf Poltavo zuckte lächelnd die Schultern. »Mein lieber Freund, ich kann nicht annehmen, daß Sie zu mir kommen, um mich zu überreden, als Ihr Fürsprecher bei Miss Gray aufzutreten und sie zu veranlassen, anders über Sie zu urteilen, als sie es tut. Sollte das aber wirklich der Zweck Ihres Besuches sein, so kann ich Ihnen leider nicht helfen. Es gibt ein Sprichwort in der englischen Sprache, das ich für sehr wahr halte: ›In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt‹.«
»In der Liebe?« fragte Frank.
»Ja, in der Liebe. Es ist nicht das Vorrecht irgendeines Mannes, die Liebe der ganzen Welt für sich als Monopol in Anspruch zu nehmen oder zu sagen: Diese Frau liebe ich, und kein anderer darf sie lieben. Alle Eigenschaften, die Sie an Miss Gray so bewundern, erscheinen mir ebenso verehrungswürdig wie Ihnen. Es ist ja schade, und ich möchte gern alles tun, um nicht mit Ihnen in Streit zu geraten, aber die Rivalität zwischen uns besteht nun einmal, und es hat keinen Zweck, das zu leugnen. Ich weiß, daß der verstorbene Mr. Farrington bestimmte Absichten mit seiner Nichte hatte, und ich schmeichle mir, daß diese sehr zu meinen Gunsten sprechen.«
»Wie meinen Sie das?« fragte Frank scharf.
»Ich hatte mit Mr. Farrington hierüber eine Aussprache, und er sagte mir, daß er sich beruhigt fühlen würde, wenn Doris’ Zukunft in meinen Händen läge.« Frank erbleichte.
»Das ist eine gemeine Lüge! Ich habe Mr. Farringtons Ansichten hierüber ebensogut gekannt wie Sie - sogar besser, wenn Sie sie so auslegen wollen!«
»Wollen Sie mir darüber bitte Näheres mitteilen?«
»Ich lehne es ab, über diese Angelegenheit weiter mit Ihnen zu sprechen. Ich möchte Ihnen nur das eine sagen: Wenn ich entdecken sollte, daß Sie gegen mich arbeiten, sei es durch Lügen oder durch Intrigen, so soll es Ihnen leid tun, jemals meine Bekanntschaft gemacht zu haben!«
»Gestatten Sie, daß ich Ihnen die Tür zeige«, sagte Graf Poltavo. »Leute meines Standes und meiner Familie lassen sich nicht gern derartige Drohungen sagen.«
»Ihren Stand kenne ich sehr wohl«, erwiderte Frank kühl. »Ihre Familie ist allerdings weniger bekannt. Wenn Sie mich zwingen, mich näher mit der Sache zu beschäftigen, und wenn ich selbst die Neigung verspüre, mich genauer zu informieren, so weiß ich, an wen ich mich zu wenden habe.«
»Und wer wäre das?« fragte der Graf und öffnete die Tür.
»Der Polizeichef von San Sebastian.«
Der Graf schloß die Tür hinter seinem Besucher und blieb einige Augenblicke nachdenklich stehen.
Die Menschen, die sich eine Stunde später in dem großen Wohnzimmer des Hauses am Brakely Square versammelten, waren niedergeschlagen und deprimiert. Zur Unzufriedenheit des Grafen war auch Frank erschienen. Er saß neben dem traurigen jungen Mädchen, und es war ihm gelungen, sie in eine Unterhaltung zu ziehen. Graf Poltavo hielt es nicht für ratsam, gerade in diesem Augenblick einen Versuch zu machen, die beiden voneinander zu trennen. Er konnte warten.
Auch Mr. Smith war anwesend.
Er hatte sich einfach dadurch eine Einladung verschafft, daß er den Rechtsanwalt, der die Testamentseröffnung vorzunehmen hatte, bat, ihn zuzuziehen. Gleichzeitig hatte er freilich bemerkt, daß er in amtlicher Eigenschaft und nicht als Freund erscheinen würde, wenn man ihm seine Bitte abschlage.
Der Seniorchef der bekannten Rechtsanwaltsfirma Debenham & Tree war bereits erschienen und saß mit seinem Sekretär an einem Tisch, der mit Dokumenten, Papieren und Schreibzeug bedeckt war. Es lag auch ein großes, versiegeltes Schriftstück dort, das der Sekretär sorgsam behütete und nicht aus den Augen ließ.
Für viele Anwesende war die Eröffnung des Testaments ein wichtiger Augenblick. Farrington hatte keine Privatschulden hinterlassen. In welcher Lage sich auch die Aktionäre der Gesellschaft befanden, die er leitete -er selbst war, soweit sein Privatvermögen in Betracht kam, in jeder Weise zahlungsfähig.
Die Nachforschungen Mr. Smiths hatten zu seinem großen Erstaunen ergeben, daß das Vermögen des jungen Mädchens verhältnismäßig sicher angelegt war. Mr. T. B. Smith kannte auch schon
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