Das Gehirn der Galaxis
kleine, gelbgrüne Sonne erschien über dem südwestlichen Horizont. »Da kommt Urban … Entweder es ist dunkel wie in der Hölle, oder wir haben gleich drei oder vier Sonnen auf einmal!«
»Sonnenlicht läßt die Saaten wachsen«, bemerkte Mary freundlich.
Eine halbe Stunde lang stiegen sie noch weiter, dann blieben sie stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Sie schauten über das Tal, hinüber zu der Kolonie, die sie so liebten. Zweiundsiebzigtausend Seelen auf einer schachbrettartigen grünen Ebene, Reihen sauberer weißer Häuser, getüncht und geschrubbt, mit schneeweißen Vorhängen hinter spiegelndem Glas; Rasen und Blumengärten dicht mit Tulpen bestanden; Gemüsegärten voll Kohl, Krauskohl und Melonen.
Raymond schaute zum Himmel hoch. »Es wird regnen.«
»Woher weißt du das?« fragte Mary.
»Erinnerst du dich an den Wolkenbruch, den wir hatten, als Urban und Robundus zuletzt gemeinsam im Westen standen?«
Mary schüttelte den Kopf. »Das hat doch nichts zu bedeuten.«
»Hier hat alles etwas zu bedeuten. Das ist das Gesetz des Universums und die Basis für unser ganzes Denken.«
Ein Windstoß fegte heulend vom Kamm herab und brachte große Staubwirbel und -fahnen mit. Sie drehten sich in seltsamen Farben, Schattierungen und Nebeln in den einander entgegenstehenden Lichtern der gelbgrünen Urban und der Roten Robundus.
»Da hast du deinen Regen!« schrie Mary durch das Heulen des Windes. Raymond zog den Kopf ein und marschierte weiter. Wenig später legte sich der Wind.
»An Regen oder sonst etwas auf Gloria glaube ich erst dann, wenn ich’s sehe«, sagte Mary.
»Wir haben nicht genug Tatsachen«, beharrte Raymond. »Unvorhersehbare Dinge sind noch längst keine Magie.«
»Es ist nur alles so unvorhersehbar.« Sie schaute zurück über die Flanke des Grand Montagne. »Gott sei Dank, daß wir die Uhr haben. Auf die ist wenigstens Verlaß.«
Die Straße wand sich die Bergflanke hoch, durch Wäldchen horniger Nadelbäume, durch Dickichte aus grauem Busch und purpurnem Dornengerank. Manchmal gab es gar keinen Weg mehr. Dann mußten sie sich wie Pfadfinder durchwühlen. Manchmal endete das Sträßchen an einer Böschung oder einer blanken Felswand und setzte sich fort entweder drei Meter tiefer oder fünf Meter höher. Doch das waren geringere Unbequemlichkeiten, mit denen sie leicht fertig wurden.
»Wie schön, wenn eine Sonne um sieben Uhr abends untergehen würde«, sagte Mary. »Aber das wäre zu normal, zu beiläufig.«
Beide Sonnen gingen um Viertel nach sieben unter. Der Sonnenuntergang dauerte meistens zehn Minuten und war prachtvoll. Dann folgten fünfzehn Minuten Zwielicht, darauf eine unbestimmbar lange Nacht.
Den Sonnenuntergang versäumten sie eines Erdbebens wegen. Über die Straße hüpften Steine. Sie suchten Schutz unter einem Felsvorsprung aus Granit, während große Brocken auf die Straße polterten und den Abhang hinabstürzten.
Endlich hörte der Steinhagel auf, nur ein paar Kiesel sprangen als Nachhut hinterher. »Ist das alles?« fragte Mary ein bißchen ängstlich.
»Sieht ganz so aus.«
»Ich habe Durst.«
Raymond reichte ihr die Feldflasche, und sie trank.
»Wie weit ist es noch bis nach Fleetville?«
»Zur Alt- oder Neustadt?«
»Das ist mir egal«, erklärte sie müde. »Eine von beiden.«
Raymond zögerte. »Es ist nur so, daß ich die Entfernung zu keiner von beiden weiß.«
»Nun, wir können ja nicht die ganze Nacht hier bleiben.«
»Es wird schon wieder Tag«, stellte Raymond fest, als der weiße Zwerg Maude im Nordosten den Himmel silbern anmalte.
»Es ist Nacht«, erklärte Mary voll stiller Verzweiflung. »Die Uhr sagt, es ist Nacht. Mir ist’s egal, ob sämtliche Sonnen der Galaxis jetzt scheinen oder nicht, sogar unsere Heimatsonne miteingeschlossen. Solange die Uhr sagt, es sei Nacht, solange ist es Nacht!«
»Aber wir können die Straße sehen … Neustadt ist direkt hinter dem Bergrücken. Ich kann mich an diesen großen Felszacken erinnern. Der war auch schon das letzte Mal hier, als ich durchkam.«
Raymond war erstaunter als Mary, daß die Neustadt tatsächlich dort lag, wo er sie vermutet hatte. Sie trotteten in die Siedlung. »Hier ist es aber furchtbar still.«
Es waren drei Dutzend Hütten aus Beton und gutem, klarem Glas, jede hatte gefiltertes Wasser, eine Dusche, einen Waschkessel und eine Toilette. Die Dächer waren, um den Vorbehalten der Flits zu begegnen, mit Dornen gedeckt, und innere Trennwände gab es nicht. Alle Hütten
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