Das Geiseldrama
war eine Angelegenheit, die sie besser unter vier Augen ausfochten.
7. Der
Unfall
Wohlige Dunkelheit begleitete
Klößchens Schlaf. Noch vor dem Zähneputzen hatte er sich den Magen mit
Schokolade vollgestopft. Jetzt drückten ihn Alpträume. Er schnarchte. Ab und zu
quietschte er. Aber Tarzan fühlte sich nicht gestört.
Er hatte die Arme hinter dem
Kopf verschränkt und blickte durchs Fenster in die Nacht hinaus. Ihm wurde
bewußt, daß das ADLERNEST wie die Mehrzahl der anderen Buden diesen typischen
Geruch hatte. Die Luft roch nach Generationen von Heimschülern, nach Staub und trockenem
Holz. Der Duft von Klößchens Schokolade ging darin unter.
Tarzan beobachtete, wie sich am
Nachthimmel die Wolken auflösten. Der Mond segelte durch die Unendlichkeit.
Daß Tarzan nicht einschlafen
konnte, kam selten vor. Die Gedanken, die ihn für gewöhnlich in den Schlaf
sinken ließen, betrafen immer dieselben Personen: seine Mutter und Gaby, Gaby
und seine Mutter. Angenehme Gedanken waren das, und meistens spielte ein
Lächeln um seinen Mund, wenn er dann unmerklich hinüber glitt ins Traumland.
Heute hielten ihn Überlegungen
wach, die den Molch betrafen.
Tarzan richtete sich auf, stieg
leise aus dem Bett und öffnete das Fenster. Wenn er sich vorbeugte, konnte er
den Pauker-Silo sehen.
Bei Ute Hollmeier brannte noch
Licht. Sie las sicherlich und verfluchte den gebrochenen Schenkel. Bei Dikal,
der das Apartment unter ihr hatte, war alles dunkel.
Kommt einfach nicht nach Hause,
der Kerl. Oder? Pennt er längst, und ich habe seine Rückkehr nicht bemerkt? Wie
oft habe ich aus dem Fenster geguckt? Jede Viertelstunde? Nein, öfter. Hm. Wenn
er da ist, ist auch sein Wagen da. Warum nicht mal nachsehen? Ist besser als
Schäfchen zählen.
Er zog seine Jeans über die
Pyjamahose, schlüpfte in die Turnschuhe und verließ das ADLERNEST. Auf dem Flur
war es still. Nur die Nachtbeleuchtung brannte.
Er huschte die Treppe zum
Speicher hinauf und holte das Nylonseil, das unverzichtbare Hilfsmittel für
seine nächtlichen Ausflüge. Wieder im Flur, öffnete er das Fenster hinter der
Schwingtür. Hier begann das Nebengebäude. Die Mauer sprang vor. Weder Laternen-
noch Mondlicht drangen in den Winkel, wo hinter wildem Wein der Haken war, an
dem er das Seil festhakte. Er turnte hinunter.
Immer an der Mauer entlang
pirschte er zum Parkplatz. Dort standen die Fahrzeuge der Lehrer: überwiegend
Kleinwagen und untere Mittelklasse. Karosserieblech knackte. Benzingeruch
schwebte über dem Platz. Tarzan inspizierte (überprüfen).
Dikals Wagen fehlte.
Höchst sonderbar!
Er trat den Rückweg an. Es
machte ihn kribbelig, daß er nicht wußte, wo sich der verdächtige Lehrer auf
hielt. Wo war er? Mit wem traf er sich? Hatte es die TKKG-Bande verpaßt, die
heiße Spur aufzunehmen? Aber das ließ sich ja leicht wieder gutmachen. Gleich
morgen...
*
Mein Gott! Dikal hatte
Hagedorns Schreie gehört, dann gesehen, wie Lotzka niedergeschlagen wurde und —
Görr erkannt. Der! Ausgerechnet der! Dieser Idiot! Aber nein! Der war ja
ahnungslos und sicherlich nur hergekommen, um mit dem Alten nochmal über die
aramäische Lüsternfayence zu reden. Jedenfalls — Fehlschlag auf der ganzen
Linie. Aber was noch schlimmer war: Er hatte keine Ahnung, wohin er den
Bewußtlosen bringen sollte.
Dikal wischte sich kalten
Schweiß vom Gesicht. Er mied beleuchtete Straßen, hielt schließlich auf einem
einsamen Platz und stellte den Motor aus.
„Arved! Mann, komm zu dir!“
Er beugte sich nach hinten. Er
rüttelte den Bewußtlosen. Aber Lotzka rührte sich nicht. Auf der rechten
Gesichtshälfte trocknete Blut.
Dikal fühlte nach dem Puls. Der
war kräftig. Aber wohin mit dem Verletzten?
Die andern waren nicht mehr in
dem alten Haus an der Unteren Promenade. Vorhin waren sie abgehauen mit dem
alten VW-Bus, umgezogen ins Quartier B. Wo sich das befand, wußte Dikal nicht. Er
hatte versäumt, danach zu fragen. Warum auch? Schließlich war Lotzka dabei, und
der hätte ihn nachher gelotst. Wer denkt denn daran, daß sowas wie eben
passiert!
Ins Krankenhaus?
Lotzka wurde wegen sogenannter
Kapitalverbrechen gesucht. Wenn er erstmal in die Mühlen der Justiz geriet,
würde er nie wieder ungesiebte Luft atmen. Außerdem gehörte er zu den
Unnachgiebigen. Er war nicht nur gemein gegen andere, sondern auch hart gegen
sich selbst und hatte mehr als einmal geäußert: Lieber tot als im Knast verschimmeln!
Nein, dachte Dikal. Das kann
ich ihm nicht
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