Das Geisterhaus
Schlaf in
einer einzigen Klage, die nicht abriß seit dem Tag, an dem ihr
Vater sie geschlagen hatte. Clara hatte keine Geduld für
Unglück, so daß sie nach der Ankunft im großen Eckhaus, das
leer und düster wie ein Mausoleum war, beschloß, es sei nun mit
Winseln und Jammern genug und an der Zeit, das Leben wieder
freundlicher zu gestalten. Sie zwang ihre Tochter, ihr beim
Einstellen neuer Dienstmädchen zu helfen und mit ihr
zusammen die Läden aufzumachen, die Bettlaken von den
Möbeln und die Schutzhüllen von den Lampen abzuziehen, die
Schlösser von den Türen zu nehmen, Staub zu wischen und
Licht und Luft in die Zimmer zu lassen. Damit waren sie
beschäftigt, als das unverwechselbare Aroma wilder Veilchen
durchs Haus wehte und ihnen kundtat, daß die drei Schwestern
Mora, durch Telepathie oder einfach durch Zuneigung in
Kenntnis gesetzt, zu Besuch gekommen waren. Mit ihrem
fröhlichen Plappern, ihren kalten Kompressen, ihren geistigen
Tröstungen und ihrem natürlichen Zauber erreichten sie, daß
sich Mutter und Tochter von ihren leiblichen Prellungen und
ihren Seelenschmerzen erholten.
»Wir müssen neue Vögel kaufen«, sagte Clara, als sie durchs
Fenster die leeren Bauer und dahinter den verwilderten Garten
sah, in welchem, nackt und mit Taubenmist bedeckt, die
olympischen Göttergestalten standen.
»Ich verstehe nicht, wie Sie an Vögel denken können, Mama,
wenn Ihnen die Zähne fehlen«, bemerkte Bianca, die sich an das
neue, zahnlose Gesicht ihrer Mutter nicht gewöhnen konnte.
Clara ließ sich zu allem Zeit. Nach zwei Wochen flatterten
neue Vögel in den alten Käfigen, und sie hatte sich eine
Porzellanprothese machen lassen, die sich mittels eines
ingeniösen Mechanismus an ihren Backenzähnen festmachen
ließ, aber das Gebiß war so unbequem, daß sie es vorzog, es an
einem feinen Kettchen am Hals zu tragen. Nur zum Essen und
manchmal zu Gesellschaften setzte sie es ein. Clara brachte
wieder Leben ins Haus. Sie schärfte der Köchin ein, das
Herdfeuer nie ausgehen zu lassen, immer müsse sie darauf
vorbereitet sein, eine wechselnde Zahl von Gästen zu
verköstigen. Sie wußte, was sie sagte. Wenige Tage später trafen
ihre Freunde ein, die Rosenkreuzer, die Spiritisten, die
Theosophen, die Akupunkturbeflissenen, die Telepathen, die
Regenmacher, die Peripathetiker, die Adventisten des Siebenten
Tages, die notleidenden oder in Ungnade gefallenen Künstler,
kurzum alle, die gewöhnlich ihren Hofstaat bildeten. Clara
herrschte über sie wie eine fröhliche, zahnlose kleine
Souveränin. In dieser Epoche begann sie ihre ersten ernsthaften
Versuche, sich mit außerirdischen Wesen zu verständigen, und
hatte, wie sie in ihren Heften notierte, die ersten Zweifel über
den wahren Ursprung der geistigen Botschaften, die sie über das
Pendel oder den dreibeinigen Tisch erhielt. Häufig hörte man sie
sagen, daß es vielleicht doch nicht die Seelen Verstorbener
wären, die sich in einer anderen Dimension herumtrieben,
sondern einfach Wesen von anderen Planeten, die eine
Beziehung zu den Erdbewohnern herzustellen versuchten, die
aber, weil aus einem ungreifbaren Stoff gemacht, leicht mit den
Seelen zu verwechseln wären. Diese wissenschaftliche
Erklärung entzückte Nicolas, fand jedoch weniger Anklang bei
den Schwestern Mora, die sehr konservativ waren.
Bianca stand solchen Zweifeln fern. Für sie gehörten die
Wesen von anderen Plane ten in die gleiche Kategorie wie die
Seelen, weshalb ihr auch die Leidenschaft, mit der ihre Mutter
und andere sie zu identifizieren suchten, unverständlich blieb.
Sie hatte im Haus viel zu tun, weil Clara alle Haushaltsdinge
unter dem Vorwand, dafür noch nie ein Talent gehabt zu haben,
von sich schob. Das große Eckhaus erforderte ein Heer von
Dienstboten, um es sauberzuhalten, und das Gefolge ihrer
Mutter machte eine durchgehende schichtweise Besetzung der
Küche notwendig. Für die einen mußten Körner und Krauter
zubereitet werden, für andere Gemüse und roher Fisch, für die
drei Schwestern Mora Obst und saure Milch, während Jaime
und Nicolas, deren Ticks noch nicht ausgebildet waren, in
unstillbarem Appetit nach üppigen Fleischgerichten, Süßspeisen
und anderen Giften verlangten. Später hungerten beide: Jaime
aus Solidarität mit den Armen und Nicolas, um seine Seele zu
läutern. Doch in dieser Epoche waren beide noch kräftige junge
Männer und sehr darauf erpicht, die angenehmen Seiten des
Lebens zu genießen.
Jaime
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