Das Geisterhaus
hatte die Universität bezogen, und Nicolas suchte noch
seine Bestimmung. Sie hatten sich mit dem Geld, das sie aus
dem Verkauf von im Elternhaus geklauten Silbertabletts
erlösten, ein prähistorisches Auto gekauft, das sie in Erinnerung
an die Großeltern del Valle Covadonga tauften. Der Covadonga
war so viele Male auseinandergenommen und mit anderen
Teilen wieder zusammengesetzt worden, daß er selten fuhr.
Wenn er es tat, dann unter gewaltigem Getöse des klapprigen
Motors und Rauch und Schraubenmuttern aus dem Auspuff
speiend. Die Brüder teilten sich salomonisch in das Vehikel: an
den geraden Tagen fuhr es Jaime, an den ungeraden Nicolas.
Clara war glücklich, ihre Söhne bei sich zu haben, und
schickte sich an, eine freundschaftliche Beziehung zu ihnen
herzustellen. Sie hatte wenig Kontakt zu ihnen gehabt, solange
sie Kinder gewesen waren, und in dem eifrigen Bestreben, sie
»Männer werden« zu lassen, hatte sie die besten Stunden ihrer
Söhne nicht miterlebt und all ihre Zärtlichkeit für sich behalten
müssen. Nun, da sie die Maße Erwachsener hatten und Männer
geworden waren, war es ihr endlich gestattet, sie so zu
verwöhnen, wie sie es hätte tun sollen, als sie noch klein waren.
Aber dazu war es zu spät, denn die Zwillinge waren ohne ihre
Liebkosungen groß geworden und brauchten sie nun nicht mehr.
Clara machte sich klar, daß sie nicht ihr gehörten. Sie verlor
weder den Kopf noch die gute Laune. Sie nahm die jungen
Männer, wie sie waren, und freute sich ihrer Gegenwart, ohne
Gegenleistungen zu erwarten.
Bianca hingegen schimpfte, weil ihre Brüder das Haus in eine
Müllhalde verwandelten. Wo sie gingen und standen,
hinterließen sie die Spuren von Unordnung, Rabatz und
Klamauk. Das junge Mädchen wurde zusehends dicker und
schien jeden Tag lustloser und launischer zu werden. Jaime
konstatierte den Bauch seiner Schwester und lief zu seiner
Mutter.
»Ich glaube, Bianca ist schwanger, Mama«, sagte er
unumwunden.
»Das habe ich mir gedacht«, seufzte Clara.
Bianca leugnete es nicht, und sobald die Nachricht bestätigt
war, trug Clara sie mit ihrer runden Schönschrift in eines ihrer
Lebensnotizhefte ein.
Nicolas hob den Blick von seinen
chinesischen Horoskopen und fand, man müsse es dem Vater
sagen, denn in ein paar Wochen ließe sich die Sache nicht mehr
verheimlichen und jedermann wüßte Bescheid.
»Ich werde nie sagen, wer der Vater ist«, sagte Bianca
bestimmt.
»Ich meine nicht den Vater des Kindes, sondern den unsern«,
sagte ihr Bruder. »Papa hat ein Recht darauf, es von uns zu
erfahren, ehe er es von anderen hört.«
»Schickt ein Telegramm aufs Land«, meinte Clara traurig. Sie
wußte, daß Biancas Schwangerschaft zur Tragödie werden
würde, sobald Esteban Trueba davon erfuhr.
Nicolas verfaßte die Botschaft mit der gleichen
kryptographischen Spitzfindigkeit, mit der er seine Verse für
Amanda schrieb, damit die Dorftelegraphistin den Inhalt nicht
verstand und keinen Klatsch verbreitete. »Erteilen Sie
Anweisungen auf weißem Band stop.« Esteban
Trueba
vermochte das Telegramm ebensowenig zu entschlüsseln wie
die Telegraphistin und mußte zu Hause anrufen, um
herauszubekommen, worum es ging. Jaime fiel es zu, es ihm zu
erklären, und er fügte hinzu, die Schwangerschaft sei so weit
fortgeschritten, daß an eine drastische Lösung nicht mehr zu
denken sei. Auf der anderen Seite der Leitung entstand ein
langes, schreckliches Schweigen, dann hängte sein Vater ein.
Esteban Trueba, auf den Drei Marien, fahl vor Überraschung
und Wut, nahm seinen Stock und zerschmetterte zum
zweitenmal das Telefon. Der Gedanke, daß seine leibliche
Tochter eine solche Ungeheuerlichkeit begehen könnte, war ihm
nie gekommen. Da er wußte, wer der Vater war, brauchte er
keine Sekunde, um zu bereuen, daß er ihm nicht doch eine
Kugel in den Nacken gejagt hatte, als er die Gelegenheit dazu
gehabt hatte. Eines stand für ihn fest: der Skandal würde gleich
groß sein, ob sie einen Bastard zur Welt brachte oder ob sie sich
mit dem Sohn eines Bauern verheiratete, im einen wie im ändern
Fall würde die Gesellschaft ein Scherbengericht über sie halten
und sie verurteilen.
Zwei Stunden lang rannte
Esteban Trueba mit großen
Schritten durchs Haus, schlug mit dem Stock auf Möbel und
Wände ein, murmelte Verwünschungen und heckte die
unsinnigsten Pläne aus, von dem Gedanken, sie in ein Kloster in
Estremadura zu schicken, bis zu der Möglichkeit, sie
umzubringen. Als
Weitere Kostenlose Bücher