Das Geisterhaus
er war, in einen Brunnen im Garten, aus
dem er mitsamt der aufgeweichten Würde herausgezogen
werden mußte.
Bianca saß die ganze Nacht über auf einem Stuhl und stierte
weinend mit dem Ausdruck einer Blöden die Torte an, während
der frischgebackene Ehemann unter den Gästen herumflatterte,
die Abwesenheit seiner lieben Schwiegermutter mit einem
Asthmaanfall und das Weinen seiner Frau mit den Aufregungen
der Hochzeit erklärend. Niemand glaubte ihm. Jean de Satigny
gab Bianca Küßchen auf den Hals, nahm sie bei der Hand und
versuchte, sie mit Schlückchen Champagner und liebevoll
ausgesuchten und eigenhändig servierten Langusten zu trösten,
aber alles war umsonst, sie weinte und weinte. Trotz allem war
das Fest ein Ereignis, genau wie Esteban Trueba es geplant
hatte. Die Leute aßen und tranken reichlich und tanzten noch am
frühen Morgen nach den Klängen des Orchesters, während sich
in der Innenstadt Gruppen von Arbeitslosen an kleinen
Zeitungsfeuerchen wärmten, Ba nden Jugendlicher in
Braunhemden durch die Stadt zogen und den Arm zum Gruß
hoben, wie sie es in Filmen über Deutschland gesehen hatten,
und in den Häusern der politischen Parteien die letzten
Feinheiten der Wahlkampagne ausgetüftelt wurden.
»Die Sozialisten werden gewinnen«, hatte Jaime gesagt, der
durch den ständigen Umgang mit den Proletariern im
Armenkrankenhaus Halluzinationen hatte.
»Nein, Jaime, die gleichen wie immer werden gewinnen«,
hatte Clara geantwortet, die es in den Karten sah und der ihr
gesunder Menschenverstand es bestätigte.
Nach dem Fest führte Esteban Trueba seinen Schwiegersohn
in die Bibliothek und überreichte ihm einen Scheck. Es war sein
Hochzeitsgeschenk. Er hatte alles vorbereitet, damit das junge
Paar in den Norden des Landes fahren konnte, wo Jean de
Satigny sich bequem niederlassen und von den Renten seiner
Frau leben wollte, fern dem Gerede scharfer Beobachter, denen
Biancas vorzeitiger Bauch nicht entgangen war. Er dachte an ein
Geschäft mit indianischen Tonkrügen und Hockermumien. Ehe
die Neuvermählten das Fest verließen, verabschiedeten sie sich
von ihrer Mutter. Clara zog Bianca, die nicht aufgehört hatte zu
weinen, beiseite und sprach leise mit ihr.
»Hör auf zu weinen, Bianca. So viele Tränen schaden dem
Kind und helfen auch nicht, glücklich zu werden«, sagte Clara.
Bianca antwortete mit einem neuen Aufschluchzen.
»Pedro Tercero lebt, Bianca«, fügte Clara hinzu.
Bianca schluckte die Tränen hinunter und putzte sich die
Nase.
»Woher wissen Sie das, Mama?« fragte sie.
»Ich habe es geträumt«, antwortete Clara.
Das genügte, um Bianca vollständig zu beruhigen. Sie wischte
sich die Tränen ab, hob den Kopf und weinte nicht wieder bis zu
dem Tag, an dem, sieben Jahre später, ihre Mutter starb, obwohl
es ihr an Schmerz, Einsamkeit und anderen Gründen zur Trauer
nicht fehlte.
Getrennt von ihrer Tochter, mit der sie sich immer sehr gut
verstanden hatte, verfiel Clara wieder in eine ihrer wirren und
depressiven Perioden. Sie führte das gleiche Leben wie vorher,
hielt in dem nach wie vor offenen, von Menschen wimmelnden
großen Eckhaus ihre spiritistischen Sitzungen und literarischen
Abende ab, aber das Lachen saß ihr nicht mehr wie früher
locker, und oft stand sie gedankenverloren da und starrte vor
sich hin. Sie versuchte ein System zur direkten Verständigung
mit Bianca zu finden, um die Verspätung postalisch
übermittelter Nachrichten wettzumachen, aber die Telepathie
funktionierte nicht immer, und auch auf den guten Empfang der
Botschaften war kein Verlaß. Sie mußte feststellen, daß
aufgrund unkontrollierbarer Interferenzen ihre Mitteilungen
durcheinandergerieten und etwas ganz anderes suggerierten als
das, was sie hatte vermitteln wollen. Überdies war Bianca für
psychische Experimente wenig empfänglich und hatte, obgleich
ihrer Mut ter immer nahe, nie die mindeste Neugier für mentale
Phänomene gezeigt. Sie war eine praktische, irdische und
mißtrauische Frau, und ihre moderne, pragmatische Art bildete
ein arges Hindernis für die Telepathie. Schweren Herzens mußte
sich Clara der konventionellen Methoden bedienen. Mutter und
Tochter schrieben sich fast täglich, und ihre reichhaltige
Korrespondenz trat mehrere Monate lang an die Stelle der
Lebensnotizhefte. So erfuhr Bianca alles, was im großen
Eckhaus geschah, und konnte sich der Illusion hingeben, sie
lebte noch in ihrer Familie und ihre Ehe wäre nur ein böser
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