Das Geisterhaus
zweifeln
begann. Mittags läutete die Glocke, das Tor ging auf. Sie sahen
eine Herde von Schülern herauskommen, und dazwischen ging,
ordentlich, schweigend und ohne Tränen, mit einem
Bleistiftstrich auf der Nase und tief in die Schuhe gerutschten
Söckchen, der kleine Miguel, der in diesen wenigen Stunden
gelernt hatte, durchs Leben zu gehen, ohne an der Hand seiner
Schwester zu hängen. Amanda preßte ihn frenetisch an ihre
Brust und sagte wie in einer plötzlichen Eingebung: »Ich würde
das Leben für dich geben, Miguelito.« Sie wußte nicht, daß sie
es eines Tages würde tun müssen. Unterdessen fühlte sich
Esteban Trueba mit jedem Tag einsamer und wütender. Er fand
sich mit dem Gedanken ab, daß ihn seine Frau nicht mehr
ansprechen würde, und da er es müde war, ihr in alle Winkel
nachzulaufen, sie mit Blicken anzuflehen und Löcher in die
Badezimmerwände zu bohren, beschloß er, sich der Politik zu
widmen. Wie Clara vorhergesagt hatte, gewannen die gleichen
wie immer die Wahlen, aber mit einer so dünnen Mehrheit, daß
das ganze Land aufhorchte. Trueba hielt den Augenblick für
gekommen, zur Verteidigung der Interessen des Vaterlandes und
der der Konservativen Partei anzutreten, denn niemand, wie er
selbst sagte, verkörpere besser als er den ehrlichen und
makellosen Politiker. Er, fügte er hinzu, habe sich aus eigener
Kraft hochgearbeitet, er habe seinen Angestellten Arbeit und
gute Lebensbedingungen gegeben, er als einziger besäße ein Gut
mit Ziegelhäusern für die Arbeiter. Er halte das Gesetz, das
Vaterland und die Traditon hoch, und außer Steuerhinterziehung
könne ihm niemand ein größeres Vergehen zur Last legen. Er
stellte einen Verwalter als Ersatz für Pedro Segundo García ein,
übertrug ihm die Verantwortung für die Drei Marien samt
Legehennen und importierten Kühen und ließ sich endgültig in
der Hauptstadt nieder. Mehrere Monate lang widmete er sich
seiner Wahlkampagne, unterstützt von der Konservativen Partei,
die Leute brauchte, um bei den nächsten Parlamentswahlen
anzutreten, und unter Einsatz seines Vermögens, das er in den
Dienst ihrer Sache stellte. Das große Eckhaus füllte sich mit
politischer Propaganda und mit Parteigängern, die es praktisch
im Handstreich nahmen, indem sie sich kurzerhand unter die in
den Gängen spukenden Gespenster, die Rosenkreuzer und die
drei Schwestern Mora mischten. Nach und nach wurde Claras
Hofstaat in die rückwärtigen Zimmer des Hauses abgedrängt.
Eine unsichtbare Grenze entstand zwischen dem Sektor, den
Esteban Trueba benutzte, und dem seiner Frau. Je nach den
Eingebungen Claras und entsprechend den Bedürfnissen des
Augenblicks entsprossen der noblen Architektur des
Herrenhauses Kämmerchen, Stiegen, Türmchen, Terrassen.
Sooft ein neuer Gast untergebracht werden mußte, kamen die
Maurer, immer dieselben, und fügten einen neuen Raum an, so
daß sich das große Eckhaus am Ende als ein riesiges Labyrinth
präsentierte.
»In diesem Haus kann man eines Tages ein Hotel
aufmachen«, sagte Nicolas.
»Oder ein kleines Krankenhaus«, fügte Jaime hinzu, der mit
dem Gedanken umging, seine Armen in das vornehmere Barrio
Alto zu verlegen.
Die Fassade des Hauses blieb erhalten. Vorne sah man noch
die edlen Säulen und den Garten a la Versailles, aber nach
hinten zu verlor sich der Stil. Der rückwärtige Teil des Gartens
war ein undurchdringlicher Urwald, in dem alle möglichen
Pflanzen und Blumen ungehindert wucherten und sich neben
Claras Vögeln auch mehrere Generationen von Hunden und
Katzen tummelten. In dieser häuslichen Fauna brachte es allein
ein Kaninchen, das Miguel eines Tages anschleppte, zu einigem
Ansehen in der Erinnerung der Familie, ein armes, ganz
gewöhnliches Karnickel, das die Hunde so lange beleckten, bis
ihm die Haare ausfielen und es zum einzigen kahlen Exemplar
seiner Gattung wurde, bedeckt nur von einer schimmernden
Haut, die ihm das Aussehen eines langohrigen Reptils verlieh.
Je näher das Datum der Wahlen rückte, desto nervöser wurde
Esteban Trueba. Er hatte alles, was er besaß, für sein politisches
Abenteuer aufs Spiel gesetzt. Eines Nachts hielt er es nicht mehr
aus und klopfte an Claras Schlafzimmmer. Sie öffnete ihm. Sie
war im Nachthemd und hatte die Zähne eingesetzt, weil sie gern
Kekse knabberte, während sie in ihre Lebensnotizhefte schrieb.
Esteban erschien sie so jung und schön wie am ersten Tag, als er
sie an der Hand genommen, in das mit
Weitere Kostenlose Bücher