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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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während er sich in ihre tiefste Intimität vorarbeitete, und kein
Augenblick verging, in welchem er nicht in Gedanken seinen
Bruder verfluchte, denn wenn dieses Kind seines und nicht das
von
Nicolas gewesen wäre, würde es gesund und voll
ausgebildet auf die Welt kommen, statt zerstückelt im Abguß
dieser scheußlichen Krankenstation zu enden, er hätte es
gewiegt und beschützt, statt es mit dem Löffel aus seinem Nest
herauszukratzen. Fünfundzwanzig Minuten später war er fertig
und befahl
Nicolas, er solle ihm helfen, seine Freundin
anzuziehen, solange sie noch vom Äther betäubt war, sah aber,
daß sein Bruder schwankend an der Wand lehnte und gegen
einen heftigen Brechreiz ankämpfte.
    »Idiot«, brüllte Jaime. »Geh ins Bad, und wenn du deine
Schuld ausgekotzt hast, dann warte im Vorzimmer, wir haben
noch lange zu tun.«
    Nicolas stolperte hinaus, und Jaime zog sich die Handschuhe
aus, legte die Maske ab und begann Amanda aus den Riemen zu
lösen, ihr vorsichtig die Wäsche anzuziehen, die blutigen Spuren
seiner Arbeit wegzuwischen und die Marterwerkzeuge aus
ihrem Blickfeld zu entfernen. Dann hob er sie auf, den
Augenblick kostend, da er sie an seine Brust drücken konnte,
und trug sie auf ein Bett, das er frisch bezogen hatte, ein Luxus,
der anderen in diesem Behandlungszimmer Hilfe suchenden
Frauen nicht zuteil wurde. Er deckte sie zu und setzte sich neben
sie. Zum erstenmal in seinem Leben konnte er sie ungestört
betrachten. Sie war kleiner und zarter als sonst, wenn sie in ihrer
Pythiaverkleidung und ihrem Glasperlenschmuck herumging,
und nur andeutungsweise, wie er immer vermutet hatte, traten
die Knochen zwischen den kleinen Hügeln und glatten Tälern
ihrer Weiblichkeit hervor. Ohne ihre skandalöse Mähne und ihre
Sphynxaugen sah sie wie eine Fünfzehnjährige aus. Ihre
Verletzlichkeit erschien Jaime begehrenswerter als alles, was
ihn früher an ihr verführt hatte. Er fühlte sich zweimal so groß
und schwer wie sie und tausendmal stärker und wußte sich doch
von vornherein besiegt von der Zärtlichkeit und dem Verlangen,
sie zu beschützen. Er verfluchte seine unüberwindliche
Gefühlsduselei und versuchte, in ihr die Geliebte seines Bruders
zu sehen, an der er eben eine Abtreibung vorgenommen hatte,
aber augenblicklich begriff er die Nutzlosigkeit dieses Versuchs
und überließ sich ganz der Lust und dem Leiden, sie zu lieben.
Er streichelte ihre durchsichtigen Hände, ihre schlanken Finger,
ihre Ohrmuscheln, er strich an ihrem Hals entlang, horchend auf
das leise Geräusch des Lebens in ihren Adern. Er näherte seinen
Mund ihren Lippen und atmete begierig ihren Äthergeruch,
wagte sie aber nicht zu berühren.
    Langsam kehrte
Amanda aus der Betäubung zurück. Sie
spürte als erstes Kälte, dann schüttelte sie ein Brechreiz. Jaime
tröstete sie, sprach in dieser Geheimsprache zu ihr, die er sonst
nur bei Tieren und bei den ga nz kleinen Kindern im
Armenkrankenhaus anwandte, bis sie sich beruhigte. Sie begann
zu weinen, und er fuhr fort, sie zu streicheln. Beide schwiegen,
sie schwankend zwischen Schläfrigkeit, Ekel, Angst und dem in
ihrem Bauch einsetzenden Schmerz, während er wünschte, diese
Nacht möge nie enden.
»Glaubst du, daß ich noch Kinder bekommen kann?« fragte
sie endlich.
     
»Ich glaube schon«, antwortete er. »Aber dann such ihnen
einen verantwortlichen Vater.«
    Beide lächelten erleichtert. Amanda suchte in dem über sie
gebeugten braunen Gesicht Jaimes nach einer Ähnlichkeit mit
seinem Bruder, konnte aber keine entdecken. Zum erstenmal in
ihrem Nomadendasein fühlte sie sich beschützt und sicher, sie
seufzte zufrieden und vergaß die schäbige Umgebung, die
abgeblätterten Wände, die kalten Metallschränke, die
scheußlichen Geräte, den Geruch von Desinfektionsmitteln,
auch diesen dumpfen Schmerz, der sich in ihrem Leib
eingenistet hatte.
    »Bitte, leg dich neben mich und nimm mich in die Arme«,
sagte sie.
Schüchtern streckte er sic h neben sie auf das schmale Bett
und legte seine Arme um sie. Er gab sich Mühe stillzuliegen, um
ihr nicht weh zu tun und nicht herunterzufallen. Er hatte die
ungeschickte Zärtlichkeit eines Menschen, der nie geliebt
worden ist und improvisieren muß. Amanda schloß die Augen
und lächelte. So lagen sie, atmend in vollkommener Ruhe, wie
zwei Geschwister nebeneinander, bis es Tag zu werden begann
und das Licht im Fenster heller wurde als das Lampenlicht. Da
half ihr Jaime

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