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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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an die Hand seiner Schweser. Nicolas,
der zuerst seinen Charme aufbot, mußte schließlich Gewalt
anwenden, damit er bei der Pensionswirtin zurückblieb, die in
den letzten Tagen endgültig den Verführungskünsten des
angeblichen Vetters erlegen und gegen ihre Grundsätze bereit
war, das Kind für eine Nacht zu übernehmen.
Sie fuhren, ohne zu sprechen, jeder in seine eigenen Ängste
vertieft. Nicolas empfand die Feindseligkeit Amandas wie eine
zwischen beiden ausgebrochene Pest. In ihr war in den letzten
Tagen der Gedanke an den Tod gereift, den sie weniger
fürchtete als den Schmerz und die Demütigung, die ihr in dieser
Nacht bevorstanden. Nicolas steuerte den Wagen in ein ihm
unbekanntes Stadtviertel, durch enge, dunkle Gassen, wo sich
vor hohen Fabrikmauern Abfälle häuften und ein Wald
qualmender Scho rnsteine die Farben des Himmels verdunkelte.
Streunende Hunde schnupperten im Unrat, in den Nischen der
Haustüren schliefen Bettler, in Zeitungen gewickelt. Es
überraschte Nicolas, daß dies die tägliche Kulisse der Tätigkeit
seines Bruders war.
    Jaime erwartete sie an der Tür des Sprechzimmers. Der weiße
Kittel und seine Angst ließen ihn älter erscheinen. Er führte sie
durch ein Labyrinth eisiger Korridore in den Behandlungsraum,
den er in der Absicht, Amanda über die Häßlichkeit des Orts
hinwegzutäuschen, so hergerichtet hatte, daß sie weder die
vergilbten Tücher sah, die in den Eimern auf die
Montagswäsche warteten, noch die an die Wände geschmierten
Schimpfwörter, noch die ausgetretenen Fliesen und die
verrosteten, unaufhörlich tropfenden Wasserleitungsrohre. An
der Tür blieb Amanda mit einem Ausdruck des Entsetzens
stehen: sie hatte die Instrumente und den gynäkologischen Tisch
gesehen, und was bis dahin nur ein abstrakter Gedanke, ein
Kokettieren mit dem Tod gewesen war, nahm in diesem
Augenblick Gestalt an. Nicolas war totenblaß, aber Jaime nahm
ihn am Arm und zwang ihn mitzukommen.
»Schau dich nicht um, Amanda. Ich werde dir eine Spritze
geben, damit du nichts spürst«, sagte er.
    Weder hatte er bisher eine Anästhesie gemacht noch aktiv an
einer Operation teilgenommen. Als Student übertrug man ihm
nur administrative Aufgaben, er mußte Statistiken führen,
Karteikarten ausfüllen und bei der Behandlung Nähte und
andere Kleinigkeiten ausführen. Er war aufgeregter als selbst
Amanda, zwang sich aber, die selbstsichere und entspannte
Haltung anzunehmen, die er an den Ärzten gesehen hatte, damit
sie glaubte, die ganze Angelegenheit sei nichts weiter als
Routine. Um ihr die Peinlichkeit des Ausziehens zu ersparen
und sich selbst die Unruhe, ihr dabei zuzusehen, half er ihr, sich
angezogen auf den Tisch zu legen. Während er sich wusch und
Nicolas anwies, dasselbe zu tun, versuchte er sie abzulenken,
indem er ihr die Geschichte von dem spanischen Gespenst
erzählte, das Clara bei einer der Freitagssitzungen erschienen
war und ihr den Bären aufgebunden hatte, in den Grundmauern
des Hauses liege ein Schatz vergraben, er sprach ihr über seine
Familie, diese Generationen von Verrückten, über die sich selbst
die Gespenster lustig machten, doch Amanda hörte ihm nicht zu.
Sie war weiß wie ein Schweißtuch, und die Zähne klapperten
ihr.
    »Wozu sind diese Riemen da? Ich will nicht, daß du mich
anschnallst!« sagte sie.
»Ich werde dich nicht anschnallen. Nicolas wird dir Äther
geben. Atme du nur ganz ruhig und hab’ keine Angst. Wenn du
aufwachst, ist alles vorbei«, sagte
Jaime, über der
Gesichtsmaske mit den Augen lächelnd.
Nicolas legte ihr die Anästhesiemaske an, und das letzte, was
sie sah, ehe sie in Dunkelheit versank, war Jaime, der sie voll
Liebe anblickte, aber da glaubte sie schon zu träumen. Nicolas
zog sie aus und schnallte sie am Tisch fest, in dem Bewußtsein,
daß dies schlimmer war als eine Vergewaltigung, während sein
Bruder, die Hände in Gummihandschuhen, wartete und
versuchte, in ihr nicht die Frau zu sehen, die alle seine
Gedanken beschäftigte, sondern einen Körper wie so viele
andere, die täglich auf diesem Tisch lagen. Langsam und
umsichtig begann er zu arbeiten, sich wiederholend, was er zu
tun hatte, indem er den auswendig gelernten Text vor sich hin
murmelte, aufmerksam, während ihm der Schweiß in die Augen
lief, Atmung, Hautfarbe und Herzrhythmus des Mädchens
kontrollierend und seinen Bruder anweisend, ihr mehr Äther zu
geben, sooft sie stöhnte, betend, daß keine Komplikation eintrat,

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