Das Geisterhaus
Eßzimmer betrat, stolperte über seine Füße,
und das gebratene Huhn flog in hohem Bogen unter einen Stuhl.
Jean bot all seinen Charme, seine ganze Festigkeit und Logik
auf, um sie davon zu überzeugen, daß ihr die Nerven
durchgegangen seien, daß alles nur das Produkt ihrer überreizten
Phantasie und in Wirklichkeit nichts geschehen sei. Bianca gab
vor, seine Darstellung anzunehmen, aber die Heftigkeit ihres
Mannes, der sonst über ihre Probleme hinwegging, und das
Gesicht des Dieners, der zum erstenmal den starren Ausdruck
eines Götzenbildes verlor und dem die Augen ein wenig aus
dem Kopf traten, erschienen ihr höchst verdächtig. Im stillen
beschloß sie, daß nun die Stunde gekommen war, der Sache mit
den spukenden Mumien auf den Grund zu gehen. Diese Nacht
verabschiedete sie sich früh, nachdem sie ihrem Mann
angekündigt hatte, sie werde ein Beruhigungsmittel nehmen, um
schlafen zu können. Statt dessen trank sie eine große Tasse
schwarzen Kaffee und stellte sich hinter ihre Tür, bereit zu einer
notfalls stundenlangen Wache.
Die ersten Schrittchen hörte sie gegen Mitternacht. Mit
größter Vorsicht öffnete sie die Tür und streckte in gerade dem
Augenblick den Kopf hinaus, in welchem eine kleine, geduckte
Gestalt hinten im Gang lief. Diesmal war sie sicher, daß sie
nicht geträumt hatte, aber ihres schweren Bauchs wegen
brauchte sie fast eine Minute, um die Stelle zu erreichen. Die
Nacht war kalt, ein Wüstenwind wehte, der die alte Holztäfelung
des Hauses knarren ließ und die Vorhänge blähte wie schwarze
Segel auf hoher See. Schon als Kind, wenn sie in der Küche die
Gespenstergeschichten der Nana hörte, hatte sie sich vor der
Dunkelheit gefürchtet, aber das Licht einzuschalten wagte sie
nicht, um die umirrenden kleinen Mumien nicht zu erschrecken.
Plötzlich wurde die Stille der Nacht von einem heiseren
Schrei zerrissen, der gedämpft klang, als käme er, so wenigstens
dachte Bianca, aus dem Inneren eines geschlossenen Sarges.
Wieder begann sie der morbiden Faszination der Dinge jenseits
des Grabes zu erliegen. Sie stand wie erstarrt, und das Herz
sprang ihr beinahe aus dem Halse, aber ein zweites Stöhnen riß
sie aus ihrer Lähmung und gab ihr die Kraft, bis an die Tür von
Jean de Satignys Labor weiterzugehen. Sie versuchte sie zu
öffnen, doch sie war abgeschlossen. Sie drückte das Gesicht an
die Tür, und nun hörte sie deutlich Gemurmel, gedämpftes
Schreien und Lachen und zweifelte nicht mehr daran, daß mit
den Mumien irgend etwas los war. Sie ging in ihr Zimmer
zurück, getröstet immerhin von der Gewißheit, daß nicht ihre
Nerven versagt hatten, sondern in der geheimen Höhle ihres
Mannes etwas Schreckliches geschah.
Am nächsten Tag wartete Bianca, bis Jean de Satigny seine
stets gründliche Körperpflege beendet, mit gewohnter
Spärlichkeit gefrühstückt, seine Zeitung bis zur letzten Seite
gelesen und endlich seinen täglichen Morgenspaziergang
angetreten hatte, ohne daß irgend etwas an ihrer gleichmütigen
Ruhe ihre wilde Entschlossenheit verraten hätte. Als Jean aus
dem Haus war, rief sie den Indio mit den hohen Absätzen und
erteilte ihm zum erstenmal einen Befehl.
»Du gehst in die Stadt und kaufst mir kandierte Papayas«,
befahl sie trocken.
Der Indio entfernte sich in dem langsamen, Indianern
eigentümlichen Trott, und sie blieb mit den übrigen Dienstboten
im Haus zurück, die sie sehr viel weniger fürchtete als diesen
seltsamen Kerl mit seinem Hang zu höfischen Sitten. Sie nahm
an, daß sie mehrere Stunden Zeit hatte, ehe er zurückkam, so
daß sie beschloß, sich nicht zu beeilen, sondern in aller Ruhe
vorzugehen. Sie war fest entschlossen, das Geheimnis der
umtriebigen Mumien zu lüften. Sie ging zum Labor, sicher, daß
die Mumien am hellichten Vormittag kaum den Mut aufbringen
würden, ihre Possen zu treiben, und hoffend, die Tür
unverschlossen zu finden. Sie war wie immer abgesperrt. Sie
probierte alle Schlüssel, die sie hatte, aber keiner paßte. Da
nahm sie das größte Küchenmesser, steckte es in den Türspalt
und stemmte sich mit aller Kraft dagegen, bis das trockene Holz
des Türrahmens in Stücke sprang, sie die Füllung herausnehmen
und die Tür öffnen konnte. Der Schaden, den sie angerichtet
hatte, war nicht zu übersehen, und ihr war klar, daß sie ihrem
Mann eine vernünftige Erklärung dafür liefern mußte, wenn er
es sah, aber sie tröstete sich mit dem Gedanken, daß sie als
Hausherrin ein
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