Das Geisterhaus
vermeiden, verscherble er sie lieber auf seine Art.
Mit Hilfe einiger profitorientierter Zollinspektoren schaffte er
sie, als Äpfel deklariert, in versiegelten Kisten außer Landes.
All das kümmerte Bianca nicht weiter. Nur die Sache mit den
Mumien machte ihr Sorgen. Sie stand auf recht vertrautem Fuß
mit den Toten, da sie dank des dreibeinigen Tisches, mit dem
ihre Mutter sie heraufbeschwor, ihr Leben lang in engem
Kontakt mit ihnen gestanden hatte. Sie war es gewöhnt, daß ihre
durchscheinenden Silhouetten durch die Gänge ihres
Elternhauses geisterten, in den Kleiderschränken rumorten und
in Träumen erschienen, um Unglücke oder Lotteriegewinne
anzukündigen. Aber die Mumien waren anders. Diese kauernden
Wesen, eingehüllt in ihre Stoffe, die in staubige Fetzen
zerfielen, mit ihren fleischlosen gelben Köpfen, ihrem ewigen,
furchtbaren, lippenlosen Lächeln, ihrem Modergeruch und
traurig armseligen Äußeren alter Leichen schnitten ihr ins Herz.
Es waren nicht viele. Selten kamen die Indios mit einer an.
Langsam und gleichmütig erschienen sie im Haus, ein großes,
versiegeltes Gefäß aus gebranntem Ton schleppend. Jean öffnete
es vorsichtig in einem Raum mit fest verschlossenen Türen und
Fenstern, damit der Inhalt nicht beim ersten Windhauch zu
Staub und Asche zerfiel. Innen in den Gefäßen sahen die
Mumien wie das Samengehäuse einer seltsamen Frucht aus, wie
Feten in Hockerstellung, eingehüllt in ihre Lumpen und begleitet
von Zahnketten und Stoffpuppen, ihren ärmlichen Schätzen.
Offenbar wurden sie weit höher geschätzt als die anderen
Gegenstände, die aus den Gräbern hervorkamen, denn private
Sammler und manche ausländische Museen bezahlten sie
ausgezeichnet. Bianca fragte sich, was das für Menschen sein
mochten, die Tote sammelten, und wo sie sie wohl aufstellten.
Sie konnte sich eine Mumie nicht als Schmuckstück in einem
Salon vorstellen, aber Jean de Satigny sagte ihr, daß sie, schön
präsentiert in einer Glasvitrine, für einen europäischen Millionär
kostbarer sein konnte als jedes Kunstwerk. Die Mumien zu
vermarkten, zu transportieren und durch den Zoll zu bringen,
war schwierig, so daß sie manchmal wochenlang in den
Lagerräumen des Hauses lagen, bis es soweit war und sie die
lange Reise ins Ausland antreten konnten. Bianca träumte von
ihnen, sie hatte Halluzinationen, sie glaubte, sie auf
Zehenspitzen durch die Gänge huschen zu sehen, klein und
heimlich wie listige Gnomen. Sie schloß sich in ihr
Schlafzimmer ein, steckte den Kopf unter die Kissen und
verbrachte Stunden zitternd und betend und mit der Kraft des
Gedankens ihre Mutter anrufend. Sie schrieb es Clara in ihren
Briefen, und Clara antwortete, sie solle Angst nicht vor den
Toten, sondern vor den Lebenden haben, denn obwohl jene in
schlechtem Ruf stünden, hätte man nie gehört, daß eine Mumie
irgend jemanden überfallen hätte; im Gegenteil, sie seien von
Natur aus eher schreckhaft. Gestärkt von den Ratschlägen ihrer
Mutter, beschloß Bianca, ihnen nachzuspionieren. Nachts
erwartete sie sie still, lauschend an der leicht geöffneten Tür
ihres Schlafzimmers. Bald hatte sie die Gewißheit, daß sie
durchs Haus schlichen, mit ihren Kinderfüßchen über die
Teppiche schlurften, pispernd und sich wie Schulkinder
gegenseitig schubsend. Jede Nacht kamen sie in kleinen
Gruppen zu zweit oder zu dritt und verschwanden immer in
Richtung auf Jean de Satignys Fotolabor. Manchmal glaubte sie
ein fernes
postmortales Stöhnen zu vernehmen, und
unbezähmbares Entsetzen überkam sie, sie rief laut nach ihrem
Mann, aber niemand kam, und um allein durch das große Haus
zu gehen und ihn zu suchen, hatte sie zu große Angst. Sobald
die ersten Sonnenstrahlen kamen, gewann Bianca ihren
Verstand und die Kontrolle über ihre strapazierten Nerven
zurück, sie machte sich klar, daß ihre nächtlichen Ängste eine
Frucht der fieberhaften Einbildungskraft waren, die sie von ihrer
Mutter geerbt hatte, und sie beruhigte sich, bis abermals die
Nacht ihre Schatten warf und der Zyklus der Schrecken von
vorne begann. Eines Tages hielt sie die Spannung nicht länger
aus, die um so stärker wurde, je näher die Nacht heranrückte,
und sie beschloß, mit Jean über die Mumien zu sprechen. Als sie
ihm von dem Huschen und dem Geflüster und den unterdrückten
Schreien erzählte, saß Jean de Satigny, die Gabel in der Hand
und mit offenem Mund, wie versteinert da. Der Indio, der gerade
mit dem Tablett das
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