Das Geisterhaus
Fauna, denen
ähnlich, die Rosa in ihre Tischdecke gestickt hatte und Bianca in
ihrem Keramikofen brannte, die Wünsche, Erinnerungen,
Traurigkeiten und Freuden ihrer Kindheit erschienen.
Ihre zwei Onkel standen ihr sehr nahe. Jaime war ihr
Lieblingsonkel. Er war ein haariger Hüne, der sich zweimal
täglich rasieren mußte und auch dann noch aussah, als hätte er
einen Dienstagsbart. Dazu hatte er bedrohliche schwarze
Augenbrauen, die er nach oben kämmte, um seine Nichte
glauben zu machen, er sei mit dem Teufel verwandt, und
besensteifes, vergeblich pomadisiertes und immer feuchtes
Haar. Er kam und ging mit seinen Büchern unter dem Arm und
einem Klempnerköfferchen in der Hand. Er hatte Alba gesagt, er
arbeite als Juwelendieb, und in dem schauerlichen Köfferchen
lägen seine Dietriche und Einbrecherhandschuhe. Das kleine
Mädchen stellte sich erschrocken, wußte aber, daß sein Onkel
Arzt war und das Köfferchen die Instrumente enthielt, die er zu
seinem Beruf brauchte. Zu ihrer Unterhaltung an
Regennachmittagen hatten sie Illusionsspiele erfunden.
»Hol den Elefanten«, befahl Onkel Jaime.
Alba ging hinaus, und wenn sie zurückkam, zog sie an einer
unsichtbaren Leine einen imaginären Dickhäuter hinter sich her.
Sie konnten eine gute halbe Stunde damit zubringen, ihn mit
ausgewähltem, Elefanten zuträglichem Grünzeug zu füttern, ihn
mit Sand zu waschen, um seine Haut gegen die Witterung zu
schützen, und das Elfenbein seiner Stoßzähne auf Hochglanz zu
polieren, während sie heftig über Vor- und Nachteile des Lebens
im Urwald debattierten.
»Dieses Kind wird vollkommen verrückt werden!« sagte
Senator Trueba, wenn er die kleine Alba auf der Galerie sitzen
und die medizinischen Abhandlungen lesen sah, die ihr Onkel
Jaime ihr lieh.
Sie war die einzige im Haus, die einen Schlüssel zum
Büchertunnel ihres Onkels besaß und die Erlaubnis hatte,
Bücher herauszunehmen und sie zu lesen. Bianca behauptete,
man müsse ihr die Lektüre in kleinen Dosen verabreichen, denn
es gebe Dinge, die für ihr Alter ungeeignet wären, aber ihr
Onkel Jaime meinte, daß die Leute nichts lesen, was sie nicht
interessiert, und wenn etwas sie interessiere, seien sie auch reif
dafür. Die gleiche Theorie vertrat er in puncto Baden und Essen.
Wenn Alba keine Lust habe zu baden, sagte er, dann deshalb,
weil sie es nicht nötig habe, und man solle ihr zu essen geben,
was sie wolle, und dann, wenn sie Hunger habe, denn der
Organismus kenne seine Bedürfnisse besser als irgend jemand
sonst. In diesem Punkt war Bianca unnachgiebig: sie zwang ihre
Tochter, strikte Essenszeiten und Hygienenorme n einzuhalten.
Das Ergebnis war, daß Alba außer den normalen Mahlzeiten und
Bädern die Leckereien verspeiste, die ihr Onkel ihr mitbrachte,
und sich unter den Gartenschlauch stellte, sooft ihr heiß war,
ohne daß weder das eine noch das andere ihrer gesunden Natur
schadete. Alba hätte es gern gesehen, daß ihr Onkel Jaime ihre
Mutter heiratete, weil es sicherer war, ihn zum Vater als zum
Onkel zu haben, aber ihr wurde erklärt, daß aus solchen
inzestuösen Verbindungen mongoloide Kinder hervorgehen.
Davon blieb ihr die Vorstellung, daß die Donnerstagsschüler in
der Werkstatt ihrer Mutter Kinder ihrer Onkel wären.
Auch Nicolas stand dem Herzen des kleinen Mädchens nahe,
aber er hatte etwas Flüchtiges, Flatterhaftes, Hastiges, sprang
immer aus einer Idee in die andere, und das verunsicherte die
kleine Alba. Sie war fünf Jahre alt, als Nicolas aus Indien
zurückkam. Da er es leid gewesen war, Gott am dreibeinigen
Tisch und im Haschischrausch anzurufen, hatte er beschlossen,
ihn in einem Land zu suchen, das weniger engstirnig war als
seine Heimat. Zwei Monate lang war er Clara auf den Fersen,
verfolgte sie in alle Winkel, flüsterte ihr ins Ohr, wenn sie
schlief, so lange, bis er sie überredet hatte, einen Brillantring zu
verkaufen und ihm damit die Reise ins Land Mahatma Gandhis
zu bezahlen. Diesmal widersetzte sich
Esteban Trueba nicht,
weil er dachte, daß ein Ausflug in diese ferne Nation hungernder
Menschen und pilgernder Kühe seinem Sohn guttun würde.
»Falls Sie nicht an einem Kobrabiß oder an einer
ausländischen Seuche sterben, werden Sie als Mann
zurückkommen, hoffe ich, denn ich habe Ihre Extravaganzen
satt«, sagte der Vater zu ihm, als sie sich an der Mole
verabschiedeten.
Nicolas verbrachte ein Jahr als Bettler, ging zu Fuß die Wege
der Yogi, zu Fuß auf den Himalaja, zu Fuß nach Katmandu, zu
Fuß an den Ganges, zu Fuß
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