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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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schaffte es, sich den Tod
ihrer Mutter so vor Augen zu führen, als ob sie ihn miterlebte.
Sie sah sie im Sarg liegen, fahl, kalt, die schönen dunklen
Augen geschlossen. Sie hörte die Angehörigen weinen. Sie sah
die Prozession der Freunde, die still hereinkamen, ihre
Visitenkarten auf ein Tablett legten und gesenkten Hauptes
wieder gingen. Sie roch den Duft der Blumen, hörte die mit
Federbüschen geschmückten Pferde am Leichenwagen wiehern.
Sie fühlte ihre Füße in den neuen schwarzen Schuhen
schmerzen. Sie stellte sich ihre Einsamkeit, Verlassenheit und
Verwaistheit vor. Ihr Onkel half ihr, an das alles zu denken,
ohne zu weinen, sich zu entspannen und dem Schmerz keinen
Widerstand entgegenzusetzen, damit er durch sie hindurchginge,
ohne sich aufzuhalten. Andere Male klemmte sich Alba den
Finger in die Tür und lernte den brennenden Schmerz zu
ertragen, ohne zu jammern. Wenn sie es fertigbrachte, eine
ganze Woche nicht zu weinen und alle Proben zu bestehen, die
Onkel Nicolas ihr auferlegt hatte, erhielt sie eine Belohnung, die
fast immer in einer Fahrt in Höchstgeschwindigkeit auf dem
Motorrad bestand, eine unvergeßliche Erfahrung. Bei einer
dieser Gelegenheiten blieben sie auf einer Straße außerhalb der
Stadt in einer Herde Kühe stecken, die quer über die Fahrbahn
in die Ställe liefen. Nie würde sie die schweren Leiber der Tiere
vergessen, ihre Behäbigkeit, die kotverschmierten Schwänze,
die ihr ins Gesicht schlugen, den Kuhfladengeruch, die Hörner,
die sie streiften, und ihr eigenes Gefühl von hohlem Magen und
herrlichem Schwindel, diesen unglaublichen Kitzel, eine
Mischung aus leidenschaftlieher Neugier und Schrecken, die
sich in ihrem späteren Dasein nur für flüchtige Augenblicke
wiederholte.
Esteban Trueba, der immer Schwierigkeiten gehabt hatte, sein
Bedürfnis nach Liebe auszudrücken, und der keinen Zugang zur
Zärtlichkeit mehr hatte, seit sich seine ehelichen Beziehungen zu
Clara verschlechtert hatten, wandte seine besten Gefühle Alba
zu. Jeden Morgen lief sie im Pyjama an das Zimmer ihres
Großvaters, trat ohne zu klopfen ein und schlüpfte in sein Bett.
Er stellte sich, als fahre er erschrocken aus dem Schlaf, obgleich
er in Wirklichkeit auf sie gewartet hatte, und brummte, sie solle
in ihr Zimmer zurückgehen und ihn nicht stören. Alba kitzelte
ihn, bis er ihr, scheinbar besiegt, erlaubte, die Schokolade zu
holen, die er für sie versteckt hatte. Alba kannte alle Verstecke,
und ihr Großvater benutzte sie immer in der gleichen
Reihenfolge, aber um ihn nicht um sein Vergnügen zu bringen,
suchte sie eine ganze Weile und stieß Jubelschreie aus, wenn sie
etwas fand.
Esteban Trueba erfuhr nie, daß seine Enkelin
Schokolade haßte und sie nur ihm zuliebe aß. Mit diesen
morgendlichen Spielen befriedigte der Senator sein Bedürfnis
nach menschlicher Nähe. Den übrigen Tag war er im Kongreß,
im Club, auf dem Golfplatz, mit Geschäften und politischen
Gesprächen beschäftigt. Zweimal im Jahr fuhr er mit seiner
Enkelin für zwei oder drei Wochen auf die Drei Marien. Beide
kamen braungebrannt, dicker und glücklicher zurück. Dort
brannten sie einen Schnaps für den Hausgebrauch, der zum
Trinken, zum Feuermachen im Herd, zum Desinfizieren von
Wunden und zur Vernichtung von Kakerlaken diente und den
sie pompös »Vodka« nannten. Am Ende seines Lebens, als seine
neunzig Jahre einen alten, krummen und morschen Baum aus
ihm gemacht hatten, dachte Esteban Trueba an diese Zeiten mit
seiner Enkelin als an die besten seines Lebens zurück, und auch
ihr blieben die Komplizenschaft bei diesen Fahrten aufs Land,
die Spazierritte hinter dem Großvater auf der Kruppe seines
Pferdes, die Abende in der Unermeßlichkeit des Weidelandes,
die langen, mit dem Erzählen von Gespenstergeschichten und
mit Zeichnen gemeinsam am Kamin des Salons verbrachten
Nächte immer im Gedächtnis.
Die Beziehungen Esteban Truebas zu seiner übrigen Familie
verschlechterten sich mit der Zeit immer mehr. Einmal in der
Woche, an den Samstagen, versammelten sich alle um den
großen Eichentisch, der immer in der Familie gewesen war und
früher den del Valle gehört hatte, was besagte, daß er aus dem
ältesten Altertum stammte, und der zum Aufbahren Toter, zum
Flamencotanzen und anderen unvorhergesehenen Zwecken
gedient hatte.
Alba wurde zwischen ihre Mutter und ihre
Großmutter gesetzt, mit einem Kissen auf dem Stuhl, damit sie
mit der Nase an den Teller reichte. Fasziniert

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