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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Vorhänge auf, eine bleiche Morgensonne schien
ins Zimmer. Beklommen drehte sie sich um und war schon nicht
mehr überrascht, Rosa tot auf ihrem Bett liegen zu sehen,
schöner denn je, das Haar endgültig grün, die Haut von der
Farbe jungen Elfenbeins, die honigfarbenen Augen offen. Am
Fußende des Betts stand die kleine Clara und beobachtete ihre
Schwester. Die Nana kniete neben dem Bett nieder, ergriff
Rosas Hand und begann zu beten. Sie betete, bis ein
schrecklicher Klageton wie von einem Schiff in Seenot durchs
ganze Haus tönte. Es war das erste und letzte Mal, daß Barrabas
seine Stimme hören ließ. Den ganzen Tag über verbellte er die
Tote, die Nervenkraft der Familie und der von seinem
Katastrophengeheul angelockten Nachbarn aufreibend.
    Doktor Cuevas brauchte nur einen Blick auf Rosas Körper zu
werfen, um zu wissen, daß dieser Tod auf etwas viel
Schlimmeres als harmloses Fieber zurückging. Er begann nach
allen Seiten zu schnuppern, inspizierte die Küche, fuhr mit dem
Finger über die Töpfe, öffnete Mehlsäcke, Zuckertüten,
Dörrobstschachteln, schüttete alles aus und hinterließ ein
Tohuwabohu wie nach einem Wirbelsturm. Er schnüffelte in
Rosas Schubfächern, befragte alle Dienstmädchen einzeln,
setzte der Nana mit Fragen zu, bis sie wild wurde, und
schließlich führten ihn seine Nachforschungen zu der
Schnapskaraffe, die er ohne weiteres beschlagnahmte. Er sprach
zu niemandem von seinem Verdacht, nahm die Flasche aber in
sein Laboratorium mit. Drei Stunden später kam er zurück mit
einem Ausdruck des Entsetzens, der sein rötliches Faunsgesicht
in eine bleiche Maske verwandelte und ihn während der ganzen
schrecklichen Angelegenheit nicht mehr verließ. Er nahm
Severo am Arm und zog ihn beiseite.
    »In diesem Schnaps war so viel Gift, daß ein Stier daran
krepiert wäre«, sagte er hinter vorgehaltener Hand. »Aber um
sicher zu sein, daß dieses Gift Ihre Tochter getötet hat, muß ich
eine Autopsie vornehmen.«
    »Heißt das, Sie wollen sie aufschneiden?« stöhnte Severo.
»Nicht ganz. Ihren Kopf werde ich nicht antasten, nur den
Verdauungsapparat«, erklärte Doktor Cuevas. Severo erlitt einen
Schwächeanfall.
    Nivea war zu dieser Stunde erschöpft vom Weinen, aber als
sie erfuhr, daß ihre Tochter in den Seziersaal gebracht werden
sollte, fand sie mit einem Schlag ihre Energie wieder. Sie
beruhigte sich erst, als ihr die Männer schworen, Rosa würde
vom Haus direkt auf den katholischen Friedhof gebracht. Da
war sie bereit, das Laudanum zu nehmen, das der Doktor ihr
gab. Sie schlief vierundzwanzig Stunden lang.
    Bei Einbruch der Nacht traf Severo die Vorbereitungen. Er
schickte seine Kinder zu Bett und erlaubte den Dienstboten, sich
frühzeitig zurückzuziehen. Clara, die von dem Vorgefallenen
tief beeindruckt war, gestattete er, diese Nacht im Zimmer einer
anderen Schwester zu schlafen. Nachdem alle Lichter gelöscht
waren und das Haus zur Ruhe gekommen war, traf der Assistent
von Doktor Cuevas ein, ein hagerer, kurzsichtiger junger Mann,
der stotterte. Sie halfen Severo, Rosas Leichnam in die Küche
zu tragen, sie legten sie liebevoll auf die Marmorplatte, auf der
die Nana gewöhnlich den Brotteig knetete und Gemüse putzte.
Severo hatte einen starken Charakter, aber mit anzusehen, wie
sie seiner Tochter das Nachthemd auszogen und ihre blendende,
sirenenhafte Nacktheit erschien, konnte er nicht ertragen.
Schwankend, schmerztrunken ging er hinaus und brach im
Salon, wimmernd wie ein Kind, zusammen. Auch Doktor
Cuevas, der Rosa bei ihrer Geburt gesehen hatte und sie wie die
Innenfläche seiner Hand kannte, erschrak, als er sie ohne
Kleider sah. Der junge Assistent fing noch in den folgenden
Jahren jedesmal vor Aufregung zu keuchen an, wenn er sich des
unglaublichen Anblicks erinnerte: Rosa, schlafend, nackt auf
dem Küchentisch, mit ihrem langen Haar, das wie eine
Pflanzenkaskade auf den Boden herabfiel.
    Während sie ihr schauriges Werk verrichteten, warf sich die
Nana, des Weinens und Betens müde und im Vorgefühl, daß im
dritten Hof, ihrem Bereich, etwas Seltsames geschah, einen
Schal über und verließ ihr Zimmer, um durchs Haus zu gehen.
In der Küche sah sie Licht, aber Türe und Fensterläden waren
geschlossen. Sie ging weiter durch die stillen, kalten Gänge, alle
drei Teile des Hauses durchquerend, bis sie an den Salon kam.
Durch die halb offene Tür sah sie ihren Herrn, der mit trostloser
Miene im Zimmer auf und ab ging. Das

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