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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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die kleine Clara del Valle ungeschoren zu lassen, und als
alle sich mit dem Gedanken abgefunden hatten, daß Onkel
Marcos wirklich tot war, nahmen
Severos politische Pläne
konkrete Gestalt an. Jahrelang hatte er auf dieses Ziel
hingearbeitet. Es war ein Triumph für ihn, als sie ihn
aufforderten, zu den Parlamentswahlen für die Liberale Partei zu
kandidieren, als Abgeordneter einer Provinz im Süden des
Landes, in der er nie gewesen war und die er auch auf der
Landkarte nur mit Mühe finden konnte. Die Partei brauchte
dringend Leute, und Severo war so scharf auf einen Sitz im
Kongreß, daß es ihnen nicht schwerfiel, die Wähler im Süden,
die einfache Leute waren, zu überreden,
Severo zu ihrem
Kandidaten zu ernennen. Der Antrag wurde unterstützt durch ein
riesiges, rosiges gebratenes Schwein, das die Wähler der Familie
del Valle ins Haus schickten. In einer Garnitur von Tomaten
ruhte es auf einem großen Holzteller, duftend und glänzend, ein
Petersiliensträußchen im Maul und eine Karotte im Hintern. Es
hatte am Bauch eine dicke Naht, und innen war es mit
Rebhühnern gefüllt, die ihrerseits wieder mit Kirschen gefüllt
waren. In Begleitung des Schweins kam eine Karaffe, die eine
halbe Gallone vom besten Schnaps des Landes enthielt. Der
Gedanke, Abgeordneter oder, noch besser, Senator zu werden,
war ein Traum, den Severo lange gehegt hatte. Um dieses Ziel
zu erreichen, hatte er durch das Anknüpfen von Kontakten und
Freundschaften, durch Unterredungen, diskrete, aber wirksame
Auftritte in der Öffentlichkeit, durch Geld und Gunstbeweise für
die geeigneten Personen im richtigen Moment gründlich
vorgearbeitet. Die Provinz im Süden, wenngleich abgelegen und
unbekannt, war das, was er sich erhofft hatte.
    Das mit dem Schwein war an einem Dienstag. Am Freitag, als
von dem Borstentier nur noch die Haut und die Knochen übrig
waren, die Barrabas im Hof abnagte, verkündete Clara, daß es
im Haus abermals einen Toten geben werde. »Aber es wird ein
Tod aus Versehen sein.« Am Samstag schlief sie schlecht und
erwachte schreiend. Die Nana gab ihr Lindenblütentee, und
niemand kümmerte sich weiter um sie, weil alle mit den
Vorbereitungen für die Reise des Vaters in den Süden
beschäftigt waren und weil Rosa die Schöne am Morgen mit
Fieber erwacht war. Nivea ordnete an, sie solle im Bett bleiben,
und Doktor Cuevas sagte, es sei nichts Schlimmes, man solle ihr
lauwarme, gezuckerte Limonade mit einem Schuß Likör geben,
damit sie das Fieber ausschwitzte.
Severo sah nach seiner
Tochter und fand sie mit rotem Gesicht und fiebrigen Augen tief
vergraben in den butterfarbenen Spitzen der Laken. Er brachte
ihr eine Ballkarte als Geschenk und ermächtigte die Nana, die
Karaffe aufzumachen und Schnaps in die Limonade zu gießen.
Rosa trank die Limonade, wickelte sich in ihren Wollschal und
schlief neben Clara, mit der sie das Zimmer teilte, sofort ein.
    Am Mögen des tragischen Sonntags stand die Nana wie
immer früh am Morgen auf. Ehe sie zur Messe ging, bereitete
sie in der Küche das Frühstück für die Familie vor. Der Ho lzund Kohleherd war am Tag zuvor geheizt worden, so daß sie an
der Glut in der noch warmen Asche Feuer machen konnte. Sie
setzte Wasser und Milch auf, und bis die Milch kochte, richtete
sie das Geschirr her, um es ins Eßzimmer zu tragen. Sie kochte
die Haferflocken, filterte den Kaffee, röstete das Brot, dann
machte sie zwei Tabletts fertig, eines für Nivea, die immer im
Bett frühstückte, das andere für Rosa, die als Kranke Anspruch
auf dasselbe Vorrecht hatte. Das Tablett für Rosa deckte sie mit
einer von den Nonnen gestickten Decke zu, damit der Kaffee
nicht kalt wurde und keine Fliege hineinfiel, dann schaute sie in
den Hof, um zu sehen, ob Barrabas nicht in der Nähe sei, der sie
mit Vorliebe ansprang, wenn sie das Frühstückstablett trug. Da
sie ihn in das Spiel mit einer Henne vertieft sah, nutzte sie den
günstigen Moment, ihre lange Wanderung durch Höfe und
Gänge anzutreten, von der Küche im rückwärtigen Teil des
Hauses bis zum Schlafzimmer der zwei Mädchen am anderen
Ende. Vor Rosas Tür zögerte sie, geschlagen von der Kraft der
Vorahnung. Wie gewohnt betrat sie das Zimmer ohne
anzuklopfen und bemerkte sofort, daß es nach Rosen roch,
obwohl keine Rosenzeit war. Da wußte die Nana, daß ein
irreparables Unglück geschehen war. Vorsichtig stellte sie das
Tablett auf den Tisch und ging langsam zum Fenster. Sie zog
die schweren

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