Das Geisterhaus
Ereignisse
mitzuteilen, denn er, behauptete sie, sei ein Magnet für die
Probleme und irreparablen Nöte anderer, und deshalb sei es
nötig, daß ihn jemand über den Frühling und die Liebe auf dem
laufenden halte. Meistens jedoch scheiterten ihre guten
Absichten an dem dringenden Bedürfnis, mit ihrem Onkel all
das zu besprechen, was ihr Kummer bereitete. Einig wurden sie
sich nie. Sie lasen dieselben Bücher, aber wenn sie zu
analysieren begannen, was sie gelesen hatten, waren sie völlig
entgegengesetzter Meinung.
Jaime mokierte sich über ihre
politischen Ansichten und ihre bärtigen Freunde und
beschimpfte sie, weil sie sich in einen Cafehausterroristen
verliebt hatte. Er war der einzige im Haus, der von Miguels
Existenz wußte.
»Sag dem Burschen, er soll einmal kommen und mit mir im
Krankenhaus arbeiten. Dann wollen wir sehen, ob er immer
noch Lust hat, die Zeit mit Pamphleten und Reden zu
verplempern«, sagte er zu Alba. »Er ist Rechtsanwalt, Onkel,
nicht Arzt«, antwortete sie. »Das macht nichts. Wir können alles
brauchen. Selbst ein Klempner ist uns willkommen.«
Jaime war fest überzeugt, daß nach so vielen Jahren des
Kampfes der Sozialismus endlich triumphieren würde. Er
begründete das damit, daß sich das Volk seiner Bedürfnisse und
seiner Kraft bewußt geworden sei. Alba wiederholte ihm die
Worte Miguels, daß die Bourgeoisie nur durch einen Krieg zu
besiegen sei. Jaime hatte einen Horror vor jeder Form von
Extremismus und vertrat die Ansicht, Guerilleros wären nur in
Tyranneien gerechtfertigt, in denen es kein anderes Mittel mehr
gäbe, aber fehl am Platze in einem Land, wo politische
Veränderungen durch Volksabstimmung herbeigeführt werden
konnten.
»Dazu ist es bei uns noch nie gekommen, Onkel, sei nicht
naiv«, erwiderte Alba. »Niemals werden sie deine Sozialisten
gewinnen lassen.«
Sie versuchte, ihm Miguels Standpunkt klarzumachen, daß
man nicht endlos den langsamen Gang der Geschichte, den
mühseligen Prozeß der Erziehung und Organisierung des Volks
abwarten könne, weil die Welt in Sprüngen vorangehe und sie
ihr immer hinterher hinkten, daß sich radikale Veränderungen
nie im Guten und ohne Gewalt durchsetzen ließen. Die
Geschichte beweise das. Die Diskussionen zogen sich hin, und
beide verstiegen sich in verworrene und hochtrabende Reden,
bis sie erschöpft waren und sich gegenseitig vorwarfen, stur wie
Maulesel zu sein. Aber wenn sie sich am Ende mit einem Kuß
gute Nacht wünschten, hatte jeder von beiden das Gefühl, daß
der andere ein prima Kerl war.
Eines Tages verkündete Jaime beim Abendessen, diesmal
würden die Sozialisten gewinnen, aber niemand glaubte ihm,
weil er seit zwanzig Jahren dasselbe vorhersagte.
»Wenn deine Mutter noch am Leben wäre, würde sie sagen,
daß die gleichen wie immer gewinnen werden«, antwortete
Senator Trueba geringschätzig.
Jaime wußte, was er sagte. Der Kandidat hatte es ihm gesagt.
Sie waren seit vielen Jahren befreundet, und Jaime ging oft am
Abend zu ihm, um mit ihm Schach zu spielen. Es war derselbe
Sozialist, der seit achtzehn Jahren Anspruch auf die
Präsidentschaft erhob. Jaime hatte ihn zum erstenmal hinter dem
Rücken seines Vaters gesehen, bei einer Wahlkampagne in
seiner Jugend, als er im Wahlzug der Sozialisten unter einer
gewaltigen Rauchwolke in San Lucas einfuhr. Damals war der
Kandidat noch ein junger, robuster Mann mit Wangen wie ein
Jagdhund gewesen, der unter Hochrufen und dem Pfeifkonzert
der Patrone und dem verbiesterten Schweigen der Bauern
zündende Reden hielt. Es war die Epoche, in der die Brüder
Sánchez den Sozialistenführer an der Wegkreuzung aufknüpften
und Esteban Trueba Pedro Tercero vor den Augen seines Vaters
auspeitschte, weil er Pater José Dulce
Marias verwirrende
Auslegungen biblischer Geschichten vor den Hintersassen
wiederholt hatte. Seine Freundschaft mit dem Kandidaten
entstand durch Zufall an einem Sonntagabend, als er vom
Krankenhaus zu einem dringenden Hausbesuch geschickt
wurde. Im Ambulanzwagen kam er an die angegebene Adresse,
er klingelte, und der Kandidat in Person öffnete ihm die Tür.
Jaime erkannte ihn mühelos, weil er oft sein Bild gesehen hatte
und er noch ganz derselbe war, den er in seinem Wahlzug
gesehen hatte. »Kommen Sie herein, Doktor, wir warten auf
Sie«, begrüßte ihn der Kandidat. Er führte ihn in ein
Dienstbotenzimmer, wo seine Töchter um eine Frau bemüht
waren, die halb erstickt zu sein schien. Ihr Gesicht war blau
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