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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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erfüllte ihn zwangsläufig mit Unruhe. Er hatte die
Veränderungen in den letzten Jahren bemerkt und sich mit
falschen Argumenten darüber hinweggetäuscht, obwohl
Erfahrung im Umgang mit anderen Menschen ihn gelehrt hatte,
daß nur die Liebe einer Frau diesen Glanz verleihen konnte. Er
hatte gesehen, wie Alba von einem Tag auf den anderen gereift
war, die verschwommenen Formen der Adoleszenz verloren
hatte und eingezogen war in den neuen Körper der friedfertigen
und befriedigten Frau. Mit absurder Heftigkeit hatte er gehofft,
die Verliebtheit seiner Nichte sei nur ein vorübergehendes
Gefühl, weil er es im Grunde nicht akzeptieren wollte, daß sie
einen anderen Mann brauchte als ihn. Doch er konnte Miguel
nicht ewig ignorieren. An einem dieser Tage erzählte ihm Alba,
Miguels Schwester sei krank. »Ich möchte, daß du mit Miguel
sprichst, Onkel. Er wird dir von seiner Schwester erzählen. Tust
du das für mich?« bat Alba.
Als Jaime Miguel in einem kleinen Café im Viertel der
Trueba kennenlernte, konnte all seine Voreingenommenheit
nicht hindern, daß spontane Sympathie ihn die politischen
Gegensätze vergessen ließ, denn der Mann, der vor ihm saß und
nervös in seinem Kaffee rührte, war nicht der auftrumpfende
Extremist und Totschläger, den er erwartet hatte, sondern ein
ängstlich besorgter junger Mann, der mit den Tränen kämpfte,
als er die Symptome der Krankheit seiner Schwester beschrieb.
»Bringen Sie mich zu ihr«, sagte Jaime.
Miguel und Alba brachten ihn in das Künstlerviertel. Mitten
in der Innenstadt, nur ein paar Meter von den modernen Bauten
aus Stahl und Glas entfernt, waren auf dem Hang eines Hügels
die steilen Gäßchen der Maler, Töpfer und Bildhauer
entstanden. Dort hatten sie sich in den alten, in winzige Studios
aufgeteilten Häusern ihre Schlupfwinkel eingerichtet. Die
Werkstätten der Kunsthandwerker waren durch verglaste
Decken zum Himmel offen, und in den düsteren Buden hausten
die Künstler in einem Paradies von Glanz und Elend. Auf den
Gäßchen spielten zutrauliche Kinder, schöne Frauen in langen
Flattergewändern trugen ihre Säuglinge auf dem Rücken oder
der Hüfte, und an den Straßenecken und Türschwellen saßen die
Männer, bärtig, schläfrig, gleichmütig, und sahen das Leben an
sich vorüberziehen. Vor einem Haus im französischen Stil, mit
Puttenfriesen verziert wie eine Cremetorte, blieben sie stehen.
Sie stiegen eine schmale Stiege hinauf, die als Feuerleiter
angebaut, durch die zahlreichen Unterteilungen des Hauses aber
einziger Zugang geworden war. Weiter oben, wo die Stiege
einen Knick bildete, umfing sie ein penetranter Geruch von
Knoblauch, Marihuana und Terpentin. Auf dem letzten Stock
blieb Miguel vor einer schmalen, orangerot gestrichenen Tür
stehen, zog einen Schlüssel aus der Tasche und schloß auf.
Jaime und Alba glaubten, einen Vogelbauer zu betreten. Das
Zimmer war rund, von einer absurden byzantinischen Kuppel
überwölbt und ringsum verglast, so daß man an jeder Stelle die
Dächer der Stadt überblicken und sich den Wolken nahe fühlen
konnte. Auf den Fensterbrettern nisteten Tauben, deren Kot und
Federn die Scheiben sprenkelten. Auf einem Stuhl saß eine Frau
vor dem einzigen Tisch, im Morgenmantel, über der Brust einen
traurig zerfledderten aufgestickten Drachen.
Jaime brauchte
Sekunden, bis er sie erkannte.
»Amanda, Amanda…«, stammelte er.
Er hatte sie nicht wiedergesehen seit damals vor zwanzig
Jahren, als beider Liebe zu Nicolas stärker gewesen war als ihre
Liebe zueinander. Unterdessen war aus dem athletischen,
brünetten jungen Mann mit dem pomadisierten, immer feuchten
Haar, der laut seine medizinischen Abhandlungen lesend durchs
Haus ging, ein durch die Gewohnheit, sich über Krankenbetten
zu beugen, leicht gebückter Mann geworden, mit grauem Haar,
ernstem Gesicht und dicken Gläsern in der Metallbrille, der aber
doch noch dieselbe Person war. Um Amanda wiederzuerkennen,
mußte man sie sehr geliebt haben. Sie wirkte älter, als sie sein
konnte, war fast bis auf Haut und Knochen abgemagert, die
Haut schlaff und gelb, die Hände mit den nikotingelben Fingern
ungepflegt. Ihre Augen waren verschwollen, glanzlos, gerötet,
die Pupillen erweitert, was ihr einen Ausdruck von Hilflosigkeit
und Verängstigung gab. Sie versuchte aufzustehen, stolperte und
schwankte. Ihr Bruder ging zu ihr und stützte sie, indem er sie
an sich drückte.
»Kannten Sie sich?« fragte Miguel

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