Das Geisterhaus
hinter sich herziehend. Da wußte ich, daß er so
gestorben war, wie der Soldat es erzählt hatte. Erst von da an
sprach ich von Tyrannei. Meine Enkelin Alba sah den Diktator
viel früher als ich heraufkommen. Sie sah ihn sich abheben von
den Generälen und dem anderen Kriegsvolk. Sie erkannte ihn
sofort, weil sie von Clara die Intuition geerbt hat. Er ist ein
ruppiger Mann und von unscheinbarem Äußeren, wortkarg wie
ein Bauer. Er wirkt bescheiden, und die wenigsten konnten
ahnen, daß sie ihn eines Tages im Imperatormantel würden
auftreten sehen, die Schnurrbartspitze zitternd vor Eitelkeit, die
Arme hoch erhoben, um die als Jubelchor in Lastwagen
herbeigekarrten Menschenmengen zum Schweigen zu bringen,
als er das Denkmal der Vier Schwerter einweihte, von dessen
Spitze eine ewig brennende Fackel über den Geschicken des
Vaterlandes leuchten sollte, auf dem sich jedoch aufgrund eines
Fehlers der ausländischen Techniker nie eine Flamme, sondern
nur dicker Qualm wie von einem Küchenherd erhob, der wie ein
permanentes Gewitter aus anderen Breiten am Himmel
schwebte.
Allmählich dachte ich, daß ich mich in der besten Methode
geirrt hatte und daß dies vielleicht doch nicht die beste Lösung
war, den Kommunismus zu besiegen. Ich fühlte mich immer
einsamer. Niemand brauchte mich mehr, meine Kinder waren
fort, und Clara mit ihrer Schweigesucht und ihrer Zerstreutheit
war wie ein Gespenst. Selbst Alba entfernte sich jeden Tag
weiter von mir. Ich sah sie kaum mehr im Haus. Mit ihren
gräßlichen langen Röcken aus zerknautschter Baumwolle und
ihrem unglaublichen grünen Haar - wie das von Rosa - stürmte
sie wie ein Wirbelwind vorbei, mit mysteriösen Aufgaben
befaßt, die sie im Einvernehmen mit ihrer Großmutter löste. Ich
bin sicher, daß die zwei hinter meinem Rücken Geheimnisse
hatten. Meine Enkelin lief genauso verängstigt herum wie Clara
in den Zeiten des Typhus, als sie die Last fremden Schmerzes
auf ihre Schultern lud.
Alba hatte wenig Zeit, über den Tod ihres Onkels Jaime zu
trauern, weil sofort die Bedrängnisse der Notleidenden sie in
Anspruch nahmen, so daß sie ihren Schmerz speichern mußte,
um ihn später auszuleiden. Miguel sah sie erst zwei Monate
nach dem Militärputsch wieder, und manchmal dachte sie, auch
er sei tot. Aber sie suchte nicht nach ihm, da sie in diesem Punkt
genaue Anweisungen von ihm hatte, und außerdem erfuhr sie,
daß er auf der Liste der Leute stand, die sich bei den Behörden
melden sollten. Das gab ihr Hoffnung. »Solange sie ihn suchen,
lebt er«, schloß sie. Der Gedanke, er könnte ihnen lebend in die
Hände fallen, quälte sie, und sie beschwor den Geist ihrer
Großmutter, das nicht zuzulassen. »Tausendmal lieber will ich
ihn tot sehen, Großmutter«, bat sie. Sie wußte, was im Land
vorging, und das war es, weshalb sie Tag und Nacht mit einem
Druck auf dem Magen herumging und ihr die Hände zitterten
und sich ihre Haut von Kopf bis Fuß wie bei einem Pestkranken
mit Quaddeln bedeckte, wenn sie von dem Schicksal irgendeines
Gefangenen erfuhr. Aber sie konnte mit niemandem darüber
sprechen, nicht einmal mit ihrem Großvater, denn die Leute
zogen es vor, nichts zu wissen.
Nach jenem schrecklichen Dienstag veränderte sich die Welt
für
Alba brutal. Sie mußte ihre Sinne umstellen, um
weiterzuleben. Sie mußte sich an den Gedanken gewöhnen, daß
sie die Menschen, die sie am meisten liebte, nicht wiedersehen
würde, ihren Onkel Jaime, Miguel und viele andere. Sie gab
ihrem Großvater die Schuld an dem, was geschehen war, aber
wenn sie ihn dann eingefallen in seinem Sessel sitzen sah, in
endlosem Gemurmel nach Clara und nach seinem Sohn rufend,
kehrte ihre ganze Liebe zu dem alten Mann zurück, und sie lief
hin zu ihm und umarmte ihn und fuhr ihm mit den Fingern
durch seine weiße Mähne, um ihn zu trösten. Alba fühlte, daß
die Dinge wie Glas waren, zerbrechlich wie Seufzer, und daß
die Maschinengewehre und Bomben jenes unvergeßlichen
Dienstags einen guten Teil des Bekannten zerstört hatten und
der Rest blutbespritzt in Scherben lag. Im Verlauf der Tage, der
Wochen, der Monate begann auch das, was anfangs der
Vernichtung entgangen zu sein schien, Zeichen des Verfalls zu
zeigen. Sie bemerkte, daß Freunde und Verwandte sie mieden,
daß einige auf die andere Straßenseite gingen, wenn sie näher
kamen. Es mußte sich herumgesprochen haben, dachte sie, daß
sie den Verfolgten half.
Sie tat es. In den ersten Tagen war es das
Weitere Kostenlose Bücher