Das Geisterhaus
der Gestank
von faulem Fleisch die Geschäfte der Stadt.
Die Soldaten patrouillierten nervös durch die Straßen, freudig
begrüßt von vielen, die den Sturz der Regierung gewünscht
hatten. Einige, ermutigt von der in diesen Tagen geübten
Gewalt, verhafteten Männer mit langem Haar oder Barten, den
untrüglichen Zeichen für einen aufrührerischen Geist, und
hielten Frauen in Hosen auf der Straße an, um ihnen im Gefühl
der Verantwortung für Ordnung, Moral und Anstand mit
energischer Schere die Hosenbeine abzuschneiden. Die neuen
Befehlshaber sagten, sie hätten mit diesen Vorgängen nichts zu
tun, niemals hätten sie den Befehl erteilt, Barte oder Hosenbeine
abzuschneiden, vermutlich handele es sich dabei um
Kommunisten, die sich als Soldaten verkleidet hätten, um das
Ansehen der Streitkräfte zu vermindern und sie in den Augen
der Bürgerschaft verhaßt zu machen, aber selbstverständlich
sähen sie es lieber, daß sich die Männer rasierten und sich das
Haar schnitten und die Frauen in Röcken gingen.
Es wurde gemunkelt, der Präsident sei tot, und niemand
glaubte an die offizielle Version, er hab sich das Leben
genommen.
Ich wartete, bis sich die Lage einigermaßen normalisiert hatte.
Drei Tage nach der Machtübernahme durch das Militär fuhr ich
im Wagen des Kongresses ins Verteidigungsministerium, denn
es wunderte mich, daß niemand gekommen war, um mich zur
Mitarbeit in der neuen Regierung aufzufordern. Jeder weiß, daß
ich der größte Marxistenfeind war, der erste, der sich einer
kommunistischen Diktatur widersetzt und öffentlich zu sagen
gewagt hatte, nur das Militär könne verhindern, daß das Land in
die Klauen der Linken fiele. Ich war es auch gewesen, der alle
Kontakte zum Oberkommando der Streitkräfte geknüpft, der die
Verbindungen zu den Gringos hergestellt und der seinen Namen
und sein Geld für Waffenkäufe gegeben hatte. Alles in allem
hatte ich mehr aufs Spiel gesetzt als irgend jemand sonst. In
meinem Alter interessierte mich die politische Macht nicht im
mindesten. Aber ich war einer der wenigen, die die Regierung
beraten konnten, weil ich seit vielen Jahren hohe Ämter
bekleidet hatte und besser als sonst jemand wußte, was diesem
Land zuträglich ist. Was können ein paar improvisierte Oberste
ohne treue, aufrichtige und fähige Berater schon machen? Nur
Murks. Ohne sie lassen sie sich von den Spitzbuben täuschen,
die die Umstände nutzen, um zu Geld zu kommen, wie es
faktisch schon jetzt der Fall ist. In diesen Tagen wußte niemand,
daß die Dinge so laufen würden, wie sie liefen. Wir dachten, das
Eingreifen der Militärs sei ein notwendiger Schritt auf dem Weg
der Rückkehr in eine gesunde Demokratie. Deshalb erschien es
mir so wichtig, mit den Befehlshabern zusammenzuarbeiten.
Als ich ins Verteidigungsministerium kam, war ich
überrascht, das Gebäude in eine Schutthalde verwandelt zu
sehen. Ordonnanzen putzten die Böden mit Strohwischen, einige
Wände waren von Schüssen durchsiebt, und überall liefen die
Militärs gebückt, als befänden sie sich mitten in einem
Schlachtfeld oder als fürchteten sie, der Feind fiele vom Dach
auf sie herab. Ich mußte fast drei Stunden warten, bis ein
Offizier mich empfing. Anfangs glaubte ich, man habe mich in
diesem Chaos nicht erkannt und behandle mich deshalb so
unehrerbietig, aber dann wurde mir klar, wie die Dinge standen.
Der Offizier empfing mich mit den Stiefeln auf dem
Schreibtisch, ein fettes belegtes Brot kauend. Er war schlecht
rasiert, seine Feldbluse stand offen. Er ließ mir keine Zeit, mich
nach meinem Sohn
Jaime zu erkundigen oder ihn zu der
mutigen Aktion der Soldaten zu beglückwünschen, die das
Vaterland gerettet hatten, sondern bat mich als erstes um die
Rückgabe der Autoschlüssel, mit der Begründung, der Kongreß
sei geschlossen worden und mit den Privilegien der
Kongreßmitglieder sei Schluß. Ich erschrak. Also hatten sie
offensichtlich nicht die Absicht, den Kongreß wieder zu öffnen,
wie wir alle gehofft hatten. Er bat mich, nein, er befahl mir, am
nächsten Tag um elf Uhr vormittags in der Kathedrale zu
erscheinen, um an dem Tedeum teilzunehmen, mit welchem das
Vaterland Gott für seinen Sieg über den Kommunismus danken
würde.
»Stimmt es, daß sich der Präsident das Leben genommen
hat?« fragte ich.
»Er ist weg«, antwortete er.
»Weg? Wohin?«
»In seinem eigenen Blut ist er weggeschwommen«, lachte der
andere.
Verwirrt ging ich auf die Straße, auf den
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