Das Geisterhaus
Zeltlaube a la Versailles, mächtigen
Steinvasen, perfekt geschorenem Rasen, Springbrunnen und
Statuen, die olympische Götter darstellen sollten und vielleicht
auch, als Konzession an den Patriotismus, den einen oder
anderen Indio aus der amerikanischen Geschichte, nackt und im
Schmuck seiner Federn. Er konnte nicht wissen, daß dieses
feierliche würfelförmige Haus, das solide und selbstzufrieden
wie ein Hut in der grünen Geometrie des Gartens saß, nach und
nach Auswüchse und Anhängsel bekommen würde,
Wendeltreppen, die nirgendwohin führten, gewaltige Türme,
riesige Fenster, die sich nicht öffnen ließen, Türen, die ins Leere
mündeten, gewundene Gänge und Fensterlunken zwischen den
Schlafzimmern, damit man sich zur Stunde der Siesta
verständigen konnte, je nach den Einfallen Claras, die bei jedem
neuen Gast, den sie unterbringen mußte, irgendwo ein Zimmer
anbauen oder, wenn die Geister ihr anzeigten, daß in den
Grundmauern ein Schatz oder ein unbeerdigter Leichnam lag,
eine Mauer einreißen ließ, bis die Villa ein verwunschenes,
unmöglich sauberzuhaltendes und gegen zahlreiche Gesetze und
Bauvorschriften verstoßendes Haus wurde. Aber zu der Zeit, als
Esteban Trueba sein »großes Eckhaus«, wie alle es nannten,
erbauen ließ, besaß es jenen Anstrich von Großartigkeit, den er
in Erinnerung an die Entbehrungen seiner Kindheit allem
aufzuprägen versuchte, was ihn umgab. Während des Baus sah
sich Clara das Haus nicht ein einziges Mal an. Es schien sie so
wenig zu interessieren wie ihre Ausstattung, und sie überließ die
Entscheidung ganz ihrem Bräutigam und ihrer künftigen
Schwägerin.
Férula stand nach dem Tod ihrer Mutter allein und ohne eine
nützliche Lebensaufgabe da, in einem Alter, in dem sie die
Illusion, noch heiraten zu können, aufgegeben hatte. Eine
Zeitlang besuchte sie täglich die Armensiedlungen, aber diese
frenetische Frömmigkeit brachte ihr nur eine chronische
Bronchitis ein und ihrer Seele keinen Frieden. Esteban wollte,
daß sie auf Reisen ginge, sich neue Kleider kaufte und zum
erstenmal in ihrem melancholischen Leben ihrem Vergnügen
lebte, sie aber war das entbehrungsreiche Dasein gewöhnt und
zu lange eingeschlossen gewesen. Sie hatte vor allem Angst. Die
Heirat ihres Bruders verunsicherte sie, weil sie dachte, sie sei für
Esteban, ihre einzige Stütze, ein Grund mehr, sich von ihr zu
entfernen. Sie fürchtete, ihre Tage häkelnd in einem Heim für
unverheiratete Töchter aus guter Familie zu beschließen.
Deshalb war sie glücklich, als sie entdeckte, daß Clara von
Haushaltsdingen so gut wie nichts verstand und eine zerstreute,
abwesende Mine aufsetzte, sooft sie eine Entscheidung treffen
sollte. »Sie ist ein bißchen dumm«, dachte Férula entzückt.
Offensichtlich würde Clara nicht imstande sein, dieses
Riesenhaus zu führen, das ihr Bruder gebaut hatte, und auf Hilfe
angewiesen sein. Auf subtile Weise versuchte sie
Esteban
klarzumachen, daß seine künftige Frau nichts Rechtes tauge und
daß sie selbst mit ihrem so ausgiebig unter Beweis gestellten
Opfersinn ihr helfen könne und dazu auch bereit sei. Esteban
brach jedes Gespräch ab, sobald es diese Richtung nahm. Je
näher das Hochzeitsdatum heranrückte, und damit der Zeitpunkt,
wo sie über ihr Schicksal entscheiden mußte, desto verzweifelter
wurde sie. Überzeugt, daß sie bei ihrem Bruder nichts erreichen
würde, suchte sie eine Gelegenheit zu einem Gespräch unter vier
Augen mit Clara. Sie fand sie an einem Samstagnachmittag um
fünf. Sie sah Clara aus dem Haus gehen und lud sie zu einer
Tasse Tee ins Hotel Francés ein. Dort saßen die zwei Frauen
zwischen Cremetörtchen und Bavaria-Porzellan, während im
Hintergrund ein Fräuleinorchester ein melancholisches
Streichquartett interpretierte. Verstohlen beobachtete Férula ihre
Schwägerin, die wie eine Fünfzehnjährige aussah und deren
Stimme infolge des langen Stummseins noch immer heiser
klang, und wußte nicht, wie sie auf ihr Thema zu sprechen
kommen sollte. Nach einer langen Pause, in der sie ein Tablett
voll Kuchen leer aßen und je zwei Tassen Jasmintee tranken,
strich sich Clara eine Strähne zurück, die ihr über die Augen
fiel, lächelte und tätschelte Férula liebevoll die Hand.
»Mach dir keine Sorgen. Du wirst mit uns leben, und wir
beide werden wie Schwestern sein«, sagte sie.
Férula erschrak. Sie fragte sich, ob an dem Gerücht über
Claras Fähigkeit, die Gedanken anderer zu lesen,
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