Das Geisterhaus
und war zu dem Schluß gekommen, daß, wenn Severo
und
Nivea ihn zu Lebzeiten der schönen Rosa als
Schwiegersohn akzeptiert hatten, kein Grund bestand, daß sie
ihn nicht wieder akzeptierten, zumal er nun ein reicher Mann
war und nicht erst auf der Suche nach Gold die Erde aufwühlen
mußte, sondern alles Nötige auf seinem Bankkonto hatte.
Am Abend fanden Férula und Esteban ihre Mutter tot im Bett.
Sie lächelte friedlich, als hätte die Krankheit ihr im letzten
Augenblick ihres Lebens die tödliche Folter ersparen wollen.
An dem Tag, an welchem Esteban Trueba im Hause del Valle
bat, empfangen zu werden, erinnerten sich Severo und Nivea der
Worte, mit denen Clara ihr langes Stummsein gebrochen hatte.
So zeigten sie keinerlei Befremden, als der Besucher sie fragte,
ob sie noch eine Tochter im heiratsfähigen Alter hätten. Sie
legten ihm dar, daß Anna Nonne geworden und Teresa sehr
krank sei, alle anderen hätten geheiratet, außer Clara, der
Jüngsten, die zwar noch verfügbar, aber ein merkwürdiges
Geschöpf sei, kaum geeignet für die Verantwortungen in der
Ehe und die Aufgaben einer Hausfrau. In aller Aufrichtigkeit
berichteten sie ihm die Absonderlichkeiten ihrer jüngsten
Tochter, verschwiegen auch nicht die Tatsache, daß sie ihr
halbes Leben lang nicht gesprochen habe, nicht, weil sie nicht
habe sprechen können, sondern weil sie keine Lust dazu gehabt
habe, wie der Rumäne Rostipov zutreffend erkannt und Doktor
Cuevas nach unzähligen Untersuchungen bestätigt habe. Esteban
Trueba war nicht der Mann, sich einschüchtern zu lassen von
Geschichten mit Gespenstern, die durch die Gänge spukten, von
Gegenständen, die sich aus der Distanz durch bloße Geisteskraft
bewegen ließen, oder von Vorhersagen schlimmer Ereignisse,
schon gar nicht von dem jahrelangen Stillschweigen, das in
seinen Augen eine Tugend war. Er fand, daß nichts von alledem
der Geburt gesunder und rechtmäßiger Kinder im Wege stünde,
und bat, Clara sehen zu dürfen. Nivea ging ihre Tochter holen,
während die zwei Männer im Salon zurückblieben, für Trueba
eine Gelegenheit, ohne Umschweife und mit der ihm eigenen
Offenheit seine wirtschaftlichen Verhältnisse darzulegen.
»Bitte, Esteban, übereilen Sie sich nicht«, unterbrach ihn
Severo. »Erst müssen Sie das Mädchen sehen und kennenlernen,
und wir müssen auch die Wünsche Claras berücksichtigen,
meinen Sie nicht?«
Das junge Mädchen betrat den Salon mit hochroten Wangen
und mit schwarzen Fingernägeln, weil sie dem Gärtner geholfen
hatte, Dahlienknollen zu setzen, und es ihr diesmal an Hellsicht
gemangelt hatte, um den künftigen Bräutigam in tadelloser
Aufmachung zu erwarten. Esteban erinnerte sich ihrer als eines
mageren, asthmatischen Geschöpfs ohne Anmut, aber das
Mädchen, das vor ihm stand, glich einem zarten
Elfenbeinmedaillon mit seinem sanften Gesicht, dem buschigen
kastanienbraunen Haar, das in wirren Löckchen aus der Frisur
fiel, den melancholischen Augen, die spöttisch aufblitzten, wenn
sie lachte, und dieses Lachen mit leicht nach hinten geworfenem
Kopf war frei und offen. Sie begrüßte ihn mit einem
Händedruck, ohne jede Scheu.
»Ich habe Sie erwartet«, sagte sie einfach.
Zwei Stunden vergingen bei diesem Höflichkeitsbesuch mit
Zimtgrog und Blätterteiggebäck, man sprach von der
Theatersaison, von Reisen nach Europa, von der politischen
Lage und den Wintererkältungen. Esteban, der Clara mit aller
ihm zu Gebote stehenden Diskretion beobachtete, fühlte sich
nach und nach von ihr verführt. Er erinnerte sich nicht, seit dem
glorreichen Tag, an dem er die schöne Rosa in der Konditorei an
der Plaza de Armas Anisbonbons hatte kaufen sehen, für irgend
jemanden ein solches Interesse aufgebracht zu haben. Er
verglich die zwei Schwestern und kam zu dem Schluß, daß trotz
der zweifellos größeren Schönheit von Rosa Clara die
Anziehendere war. Es wurde Abend, die Dienstmädchen kamen,
um die Vorhänge zuzuziehen und Licht zu machen. Da merkte
Esteban, daß sein Besuch schon zu lange gedauert hatte. Sein
Benehmen ließ einiges zu wünschen übrig. Steif verabschiedete
er sich von Severo und Nivea und bat um die Erlaubnis, Clara
wieder besuchen zu dürfen.
»Ich hoffe, ich langweile Sie nicht, Clara«, sagte er errötend.
»Wollen Sie mich heiraten?« fragte Clara, und er sah ein
ironisches Funkeln in ihren mandelbraunen Pupillen.
»Clara! Mein Gott!« rief die Mutter entsetzt. »Entschuldigen
Sie, Esteban,
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