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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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übertriebene Verwöhnung lästig geworden, oder sie wäre
ihrem dominierenden Charakter und ihrer Ordnungswut zum
Opfer gefallen. Aber Clara lebte in einer anderen Welt. Férula
haßte den Augenblick, da ihr Bruder vom Land zurückkehrte,
seine Gegenwart das ganze Haus erfüllte und die während seiner
Abwesenheit herrschende schöne Harmonie durchbrach. Wenn
er da war, mußte sie in den Schatten treten und sich sowohl in
der Art ihres Umgangs mit den Dienstboten als auch in ihren
Aufmerksamkeiten für Clara zurücknehmen. Jeden Abend,
wenn sich die Eheleute in ihr Schlafzimmer zurückzogen,
überkam sie ein namenloser Haß, den sie sich nicht erklären
konnte und der ihre Seele mit unheilvollen Gefühlen erfüllte.
Um sich abzulenken, verfiel sie wieder dem Laster, in den
Armensiedlungen den Rosenkranz zu beten und bei Pater
Antonio zu beichten.
    »Ave Maria purissima.«
»Ohne Sünde empfangen.«
»Ich höre, Tochter.«
»Pater, ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Ich glaube, was
    ich getan habe, ist Sünde.«
»Des Fleisches, meine Tochter?«
»Ach, Pater, das Fleisch ist verdorrt, aber der Geist nicht. Der
    Teufel martert mich.«
»Gottes Erbarmen ist unendlich.«
    »Sie wissen nicht, Pater, welche Gedanken einer ledigen Frau
kommen können, einer Jungfrau, die keinen Mann
kennengelernt hat, nicht aus Mangel an Gelegenheit, sondern
weil Gott meiner Mutter eine lang dauernde Krankheit geschickt
hat und ich sie pflegen mußte.«
    »Dein Opfer ist dir im Himmel gutgeschrieben, Tochter.«
»Auch wenn ich in Gedanken gesündigt habe, Pater?«
»Das hängt davon ab, welche Gedanken…«
»Ich kann nachts nicht mehr schlafen, ich ersticke. Um Ruhe
    zu finden, stehe ich auf und wandere durch den Garten, ich
schleiche durchs Haus, gehe ans Schlafzimmer meiner
Schwägerin, lege das Ohr an die Tür. Manchmal gehe ich auf
Fußspitzen zu ihr hinein, um sie schlafen zu sehen. Sie sieht wie
ein Engel aus, und ich komme in Versuchung, mich zu ihr zu
legen, um die Wärme ihrer Haut und ihren Atem zu spüren.«
    »Bete, Tochter. Das Gebet hilft.«
»Warten Sie, ich habe nicht alles erzählt. Ich schäme mich.«
»Du sollst dich vor mir nicht schämen, ich bin nur ein
    Werkzeug Gottes.«
»Wenn mein Bruder vom Land kommt, ist es noch viel
    schlimmer, Pater. Das Gebet hilft mir nicht, ich kann nicht mehr
schlafen, ich zittre, zuletzt stehe ich auf und gehe durchs ganze
Haus, ich schleiche mich durch die Gänge, auf Zehenspitzen,
damit der Fußboden nicht knarrt. Ich höre sie durch die
Schlafzimmertür, und einmal konnte ich sie sehen, weil die Tür
nur angelehnt war. Ich kann Ihnen nicht schildern, was ich
gesehen habe, Pater, aber es muß eine schreckliche Sünde sein.
Es ist nicht Claras Schuld, sie ist rein wie ein Kind. Mein Bruder
ist es, der sie verleitet. Er wird sicherlich verdammt werden.«
    »Gott allein steht es zu, zu richten und zu verdammen, meine
Tochter. Was haben sie gemacht?«
Und nun konnte
Férula eine halbe Stunde lang bei den
Einzelheiten verweilen. Sie war eine virtuose Erzählerin, die es
verstand, an den richtigen Stellen Pausen einzulegen, den
Tonfall zu berechnen, zu schildern, ohne Gesten zu Hilfe zu
nehmen. Das Bild, das sie entwarf, war so lebendig, daß der
Zuhörer es zu sehen vermeinte, es war unglaublich, wie sie
durch die angelehnte Tür die Art des Erschauerns, die Vielfalt
der Spiele, die ins Ohr geflüsterten Worte, die heimlichen
Gerüche hatte wahrnehmen können, wirklich ein Wunder. Hatte
sie sich die Bedrängnisse von der Seele geredet, kehrte sie mit
dem maskenhaften Gesicht eines Götzenbildes nach Hause
zurück, unerbittlich und streng, und gleich ging es los mit dem
Befehlen, dem Zählen der Silberbestecke, dem Festlegen der
Mahlzeiten, dem Aufschließen und Abschließen, dem
Kommandieren, stell mir das da hin, es wurde hingestellt, gebt
den Pflanzen frisches Wasser, es wurde gegeben, putzt die
Fenster, stopft diesen verflixten Vögeln den Schnabel, bei
diesem Gekreisch kann die
Señora nicht schlafen, und
womöglich erschrickt das Kleine und kommt blöd zur Welt.
Nichts entging ihren wachsamen Augen, und im Gegensatz zu
Clara, die alles sehr hübsch fand und der es gleichgültig war, ob
sie gefüllte Trüffeln oder eine Restesuppe aß, ob sie auf
Federkissen schlief oder auf einem Stuhl saß, ob sie in
parfümiertem Wasser gebadet wurde oder nicht badete, war sie
ständig beschäftigt. Je weiter Claras Schwangerschaft fortschritt,
desto

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