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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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dieses Mädchen ist schon immer vorlaut
gewesen.«
»Ich möchte es wissen, damit wir keine Zeit verlieren«, sagte
Clara.
    »Auch mir gefällt die direkte Art«, lächelte Esteban glücklich.
»Ja, Clara, deswegen bin ich gekommen.«
Clara nahm seinen Arm und begleitete ihn an die Haustür. An
dem letzten Blick, den sie wechselten, begriff Esteban, daß sie
ihn angenommen hatte, und ein Gefühl der Freude durchrieselte
ihn. Als er lächelnd in den Wagen stieg, konnte er sein Glück
nicht fassen, er begriff nicht, warum ein so bezauberndes junges
Mädchen ihn akzeptiert hatte, ohne ihn zu kennen. Er wußte
nicht, daß sie ihr Schicksal vorhergesehen hatte und dies der
Grund war, warum sie ihn in Gedanken gerufen hatte und bereit
war, ihn zu heiraten, ohne ihn zu lieben.
Mit Rücksicht auf Esteban Truchas Trauer ließen sie ein paar
Monate verstreichen, in denen dieser Clara auf dieselbe
altmodische Weise den Hof machte wie früher ihrer Schwester,
ohne zu ahnen, daß Clara Anisbonbons nicht ausstehen konnte
und Akrostichons lächerlich fand. Ende des Jahres, gegen
Weihnachten, gaben sie offiziell ihre Verlobung bekannt und
steckten sich in Anwesenheit der Eltern und der nächsten
Bekannten, alles in allem etwa hundert Leuten, die Ringe an. Es
gab ein pantagruelisches Bankett mit gefülltem Truthahn,
glacierten Ferkeln, Seeaal, gratinierten Langusten, frischen
Austern, Orangen- und Zitronensorten von den Karmeliterinnen,
Mandelund Nußtorten von den Dominikanerinnen, Schokoladeund Eierschneetorten von den Clarissinnen, dazu kistenweise
Champagner, den der französische Konsul dank seiner
diplomatischen Privilegien aus Frankreich herübergeschmuggelt
hatte, aber alles ganz schlicht angerichtet und von den alten
Dienstmädchen in schwarzen Werktagsschürzen serviert, um
dem Gelage den Anstrich einer bescheidenen Familienfeier zu
geben. Gemessen an den strengen und reichlich düsteren
Vorfahren dieser von rigidesten kastilischen und baskischen
Emigranten abstammenden Gesellschaft, hätte jede Extravaganz
als Protz, als sündige weltliche Eitelkeit und Zeichen schlechten
Geschmacks gegolten. Clara erschien in Chantillyspitze und mit
echten Kamelien, schwatzte, als müßte sie sich für neun Jahre
Sprachlosigkeit schadlos halten, tanzte mit ihrem Bräutigam
unter dem Zelt und den Lampions, blind für die Warnungen der
Geister, die ihr von den Vorhängen aus verzweifelt Zeichen
machten, die sie im Gewühl und Trubel nicht sah. Die
Zeremonie des Ringeansteckens war seit Kolonialzeiten
unverändert geblieben. Abends um zehn gingen die
Dienstmädchen, mit einer Glasglocke läutend, zwischen den
Gästen herum, die Musik verstummte, der Tanz wurde
abgebrochen und die Gäste versammelten sich im Hauptsalon.
Ein kleiner, unschuldiger Priester im Meßornat las eine eigens
vorbereitete komplizierte Rede ab, in der schwer begreifliche
und unausführbare Tugenden verherrlicht wurden. Clara hörte
nicht hin, denn als die laute Musik und der Streit der Tänzer um
die besten Tänzerinnen verstummt waren, horchte sie auf das
Gezirp der Geister in den Vorhängen, und plötzlich wurde ihr
klar, daß sie Barrabas seit Stunden nicht mehr gesehen hatte.
Alle Sinne schärfend suchte sie ihn mit Blicken, aber auf einen
Ellbogenstoß ihrer Mutter wandte sie sich wieder der Zeremonie
zu. Der Priester schloß seine Ansprache, segnete die goldenen
Ringe, und Esteban steckte einen der Braut, den anderen sich
selbst an den Finger.
Da schreckte ein markerschütternder Schrei die Gesellschaft
auf, die Leute drängten zur Seite, eine Gasse bildend, durch die,
schwärzer und größer denn je, Barrabas kam, ein Metzgermesser
bis zum Heft im Rücken und blutend wie ein Ochse. Seine
langen Fohlenbeine zitterten, ein Faden Blut troff ihm vom
Maul, während er, die Augen umflort von Agonie, Schritt für
Schritt, eine Pfote der anderen nachziehend, wie ein
verwundeter Dinosaurier heranwankte. Clara fiel auf das mit
französischer Seide bezogene Sofa. Der Hund ging zu ihr hin,
legte seinen großen Kopf auf ihren Schoß, und so, sie
anblickend mit verliebten Augen, die sich mit Feuchtigkeit
beschlugen und blind wurden, blieb er stehen, während sich sein
Blut auf der Chantillyspitze, der französischen Seide des Sofas,
dem Perserteppich und dem Parkett ausbreitete. Barrabas starb
ohne Eile, die Augen auf Clara geheftet, die seine Ohren
streichelte und ihm tröstliche Worte zusprach, bis er mit einem
einzigen

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