Das Geisterhaus
Die Erde und die Bäume
waren naß vom feinen Nachtregen, ihre Kleider fühlten sich
feucht, die Schuhe kalt an. Sie atmete den Duft der nassen Erde,
der vermoderten Blätter ein, des Humus, der in ihren Sinnen
eine unbekannte Lust erweckte.
Bianca kam an den Fluß und sah ihren Freund an eben der
Stelle sitzen, an der sie sich so oft getroffen hatten. Pedro
Tercero war in diesem Jahr nicht, wie sie, gewachsen, er war
noch dasselbe magere, braunhäutige Kind mit dem aufgeblähten
Bauch und dem altersweisen Ausdruck seiner schwarzen Augen.
Er stand auf, als er sie sah, und sie merkte, daß sie mindestens
einen halben Kopf größer war als er. Sie sahen sich an,
erschrocken zum erstenmal in dem Gefühl, daß sie sich beinahe
Fremde geworden waren. Für eine Zeit, die ihnen unendlich
erschien, blieben sie regungslos stehen, sich eingewöhnend in
die Veränderungen und neuen Dis tanzen, aber dann zwitscherte
ein Spatz, und alles war wieder wie im Sommer zuvor. Sie
waren wieder zwei Kinder, die rannten, sich umarmten und
lachten, auf den Boden fielen, sich wälzten auf den
Kieselsteinen, während sie unermüdlich ihre Namen murmelten,
glücklich, wieder zusammenzusein. Endlich beruhigten sie sich.
Bianca hatte das Haar voll trockener Blätter, die er ihr abnahm,
ein ums andere.
»Komm, ich zeig dir etwas«, sagte Pedro Tercero.
Er nahm sie an der Hand. So gingen sie, diesen Tagesanbruch
der Welt genießend, planschend im Matsch, frische Triebe
pflückend, um ihren Saft zu saugen, sich ansehend, lächelnd,
ohne zu sprechen, bis sie an eine weit entfernte Weide kamen.
Die Sonne stand schon über dem Vulkan, aber der Tag hatte sich
noch nicht vollends eingerichtet, und die Erde gähnte. Pedro
machte ihr ein Zeichen, sich hinzulegen und still zu sein. Sie
robbten auf eine Hecke zu, krochen zwischen den Büschen
durch, und Blanca sah es: es war eine schöne Fuchsstute, allein
auf dem Hang, beim Fohlen. Regungslos, darauf bedacht, daß
nicht einmal ihr Atem zu hören war, sahen sie, wie sie keuchte
und preßte, bis der Kopf und ziemlich lange danach der restliche
Körper des Fohlens erschien. Das Junge plumpste auf die Erde,
und die Mutter begann es zu lecken, bis es sauber und glänzend
war wie gewachstes Holz, und stupste es mit dem Maul, um es
zum Aufstehen zu ermuntern. Das Fohlen versuchte
aufzukommen, aber die schwachen Beine knickten ein, so daß es
liegenblieb, hilflos die Mutter anblickend, die wiehernd die
Sonne und den Morgen begrüßte. Bianca spürte ein
Glücksgefühl, das ihr fast die Brust sprengte.
»Wenn ich groß bin, heiraten wir und leben hier auf den Drei
Marien«, sagte sie flüsternd.
Pedro sah sie mit seinen altersweisen Augen traurig an und
schüttelte den Kopf. Er war noch sehr viel kindlicher als sie,
kannte aber bereits seinen Platz auf der Welt. Er wußte aber
auch, daß er dieses Mädchen immer lieben würde, daß dieser
Tagesanbruch in seiner Erinnerung fortleben und das letzte sein
würde, was er sehen würde, wenn er starb.
Diesen Sommer verbrachten sie auf der Grenze zwischen der
Kindheit, die sie noch nicht losließ, und ihrem Erwachen als
Mann und Frau. Manchmal liefen sie wie kleine Kinder herum,
scheuchten die Hennen vom Nest und jagten Kühe, tranken
frisch gemolkene Milch, bis sie nicht mehr konnten und
Schaumschnurrbärte hatten, stahlen Brot frisch aus dem
Backofen, kletterten Bäume hinauf, um sich Baumhäuschen zu
bauen. Andere Male versteckten sie sich im Wald an den
verborgensten und dichtesten Stellen, machten sich Betten aus
Laub und spielten, sich liebkosend bis zur Erschöpfung, Mann
und Frau. Sie waren noch unschuldig genug, sich ohne Neugier
auszuziehen und nackt im Fluß zu baden, wie sie es immer getan
hatten, strampelnd im kalten Wasser und sich von der Strömung
über die glänzenden Steine auf dem Grund treiben lassend. Aber
es gab auch Dinge, die sie nicht mehr wie früher teilten. Sie
lernten sich voreinander zu schämen. Sie wetteiferten nicht
mehr, wer die größte Pfütze pissen konnte, und Bianca sprach
ihm nicht von diesem dunklen Stoff, der ihr einmal im Monat
die Hosen fleckig machte. Ohne daß jemand es ihnen sagte, war
ihnen klar, daß sie vor anderen keine Vertraulichkeiten mehr
haben durften. Wenn sich Bianca nachmittags ihre
Fräuleinkleider anzog und sich auf die Terrasse setzte, um mit
ihrer Familie Limonade zu trinken, beobachtete Pedro sie von
fern, ohne näher zu kommen. Sie begannen sich bei
Weitere Kostenlose Bücher