Das Geisterhaus
und als ihr Mann zurückkam, hatte sie den ihren bereits
angezogen und hielt die Autoschlüssel in der Hand. »Fahren wir
zu Pater Antonio«, sagte sie.
Die ganze Fahrt über schwiegen sie. Bedrückt steuerte
Esteban den Wagen, die alte Pfarrei von Pater Antonio suchend,
durch die ärmlichen Viertel, in die er seit vielen Jahren nicht
mehr gekommen war. Als sie mit der Nachricht ankamen, Férula
sei tot, nähte der Priester eben einen Knopf an seine zerrissene
Soutane.
»Das kann nicht sein«, rief er. »Vor zwei Tagen war ich bei
ihr, und sie war gesund und munter.«
»Bringen Sie uns zu ihr, Pater«, bat Clara. »Ich weiß, warum
ich es sage. Sie ist tot.«
Auf Claras Drängen fuhr der Pater mit ihnen. Durch enge
Gassen lotste er Esteban zu Férulas Wohnung. Sie hatte diese
Jahre der Einsamkeit in einer der Armensiedlungen gelebt, in
denen sie in ihren jungen Jahren gegen den Willen der
Begünstigten den Rosenkranz gebetet hatte. Mehrere Blöcke vor
dem Haus mußten sie den Wagen stehenlassen, weil die Gassen
immer enger wurden und sie endlich begriffen, daß diese Wege
nur für Fußgänger und Radfahrer bestimmt waren. Zu Fuß
gingen sie weiter, den Pfützen ausweichend, die das schmutzige,
die Wasserrinne überspülende Wasser gebildet hatte, und um
Abfallhaufen herum, auf denen Katzen scharrten wie
geheimnisvolle Schatten. Die Armensiedlung bestand aus zwei
Reihen verlotterter Häuser, alle gleich klein und ärmlich, mit
einer Tür und zwei Fenstern, dunkel gestrichen, baufällig, von
der Feuchtigkeit angefressen. Drähte waren über den Weg
gespannt, an denen tagsüber die Wäsche in der Sonne hing, die
zu dieser Stunde der Nacht aber leer waren und leise
schaukelten. Auf halber Höhe der Gasse stand die einzige
Wassersäule, an der sich alle hier lebenden Familien versorgen
mußten, und nur zwei Laternen beleuchteten die schmale
Passage zwischen den Häusern. Pater Antonio grüßte eine alte
Frau, die neben der Wassersäule stand und darauf wartete, daß
der dünne Strahl ihren Eimer füllte.
»Haben Sie Señorita Férula nicht gesehen?« fragte er sie.
»Sie muß in ihrem Haus sein, Pater. Ich habe sie in den
letzten Tagen nicht gesehen«, sagte die Alte.
Pater Antonio zeigte auf eines der Häuschen. Es war traurig,
verfallen und schmutzig wie alle anderen, aber das einzige, an
dem zu beiden Seiten der Tür in hängenden Töpfen
Storchenschnabel, die Blume der Armen, blühte. Der Priester
klopfte an die Tür.
»Gehen Sie nur hinein, Pater«, schrie die Alte an der
Wassersäule. »Die Señorita schließt nie ab. Hier gibt’s nichts zu
stehlen.«
Esteban Trueba öffnete, nach seiner Schwester rufend, die
Tür, wagte aber nicht einzutreten. Clara überschritt als erste die
Schwelle. Innen war es dunkel, der unverwechselbare Geruch
von Lavendel und Zitrone schlug ihnen entgegen. Pater Antonio
zündete ein Streichholz an. Die schwache Flamme bildete einen
Lichtkreis im Dunkel und erlosch, ehe der Priester einen Schritt
gehen oder sich umsehen konnte.
»Warten Sie hier«, sagte Pater Antonio. »Ich kenne mich
aus.«
Er tastete sich vorwärts und entzündete gleich darauf eine
Kerze. Seine Gestalt war auf groteske Weise abgehoben, sie
sahen ein Gesicht, verzerrt von dem nach oben scheinenden
Licht, als schwebte es auf halber Höhe, während sein riesiger
Schatten über die Wände schwankte. Clara hat diese Szene in
allen Einzelheiten in ihrem Tagebuch beschrieben, die zwei
dunklen Zimmer, die von der Feuchtigkeit fleckigen Wände, das
kleine, schmutzige Bad ohne fließendes Wasser, die Küche, in
der sie nur Reste von altem Brot und ein Krug mit ein wenig Tee
fanden.
Der Rest der Wohnung, so schien es Clara, war wie eine
Fortsetzung des Alptraums, der mit dem Erscheinen ihrer
Schwägerin im Eßzimmer des großen Eckhauses begonnen
hatte. Sie hatte den Eindruck, in das Hinterzimmer eines
Altkleiderhändlers oder in die Soffitten eines schäbigen
Wandertheaters versetzt zu sein. Von den Nägeln an den
Wänden hingen altmodische Kleider herab,
Federboas,
schmierige Pelzstücke, Ketten aus falschen Edelsteinen, Hüte,
wie sie seit einem halben Jahrhundert nicht mehr getragen
wurden, verwaschene Unterröcke mit zerschlissenen Spitzen,
Kleider, die einst prunkvoll gewesen waren und ihren Glanz
verloren hatten, unerklärliche Admiralsröcke und Meßgewänder,
alles kreuz und quer durcheinander, von jahrealtem Staub
bedeckt. Auf dem Boden lag ein Wust von
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