Das Geisterhaus
Satinschuhen,
Handtäschchen für Debütantinnen, Hosenträger,
edelsteinbesetzte Gürtel und sogar der brand neue Degen eines
Kadetten der Militärakademie, dazwischen traurige Perücken,
Schminktöpfe und leere Fläschchen, ein Kunterbund
unmöglicher Toilettenartikel.
Eine schmale Tür verband die zwei einzigen Zimmer. Im
zweiten lag Férula auf ihrem Bett, aufgeputzt wie eine Kaiserin
von Osterreich, in einem mottenzerfressenen Samtkleid und
gelben Taftunterröcken, auf dem Kopf eine unglaubliche
Allongeperücke, wie von einer Opernsängerin. Niemand war bei
ihr, keiner hatte von ihrem Sterben gewußt, und vermutlich war
sie schon seit vielen Stunden tot, denn Ratten hatten begonnen,
ihre Füße und ihre Finger anzunagen. Sie war großartig in ihrer
Königinneneinsamkeit, und ihr Gesicht zeigte einen Ausdruck
sanfter Gelassenheit, den sie in ihrer ganzen alptraumhaften
Existenz nie gehabt hatte.
»Sie kleidete sich gern in getragene Kleider, die sie aus
zweiter Hand bekam oder aus den Abfällen herausfischte, aber
sie hat nie jemandem etwas zuleide getan, im Gegenteil, bis ans
Ende ihrer Tage betete sie den Rosenkranz für die Erlösung der
Sünder«, erklärte Pater Antonio.
»Lassen Sie mich mit ihr allein«, sagte Clara mit
Bestimmtheit.
Die zwei Männer traten auf die Gasse, auf der allmählich die
Nachbarn zusammenströmten. Clara zog ihren weißen
Wollmantel aus und krempelte sich die Ärmel auf, sie trat zu
ihrer Schwägerin, nahm ihr zart die Perücke ab und sah, daß sie
fast kahl und sehr alt und hilflos war. Sie küßte sie auf die Stirn,
so wie Férula sie wenige Stunden zuvor im Eßzimmer ihres
Hauses geküßt hatte, und begann in aller Ruhe das Totenritual
zu improvisieren. Sie zog sie aus, wusch sie, seifte sie gründlich
ein, ohne eine Spalte auszulassen, rieb sie mit Kölnischwasser
ab, puderte sie, kämmte liebevoll ihre vier Haare, kleidete sie
dann in die elegantesten und ausgefallensten Fetzen, die sie
fand, und setzte ihr zuletzt wieder die Sopranistinnenperücke
auf, ihr damit im Tod die unendlichen Dienste vergeltend, die
Férula ihr im Leben geleistet hatte. Während sie, ankämpfend
gegen das Asthma, arbeitete, erzählte sie ihr von Bianca, die nun
schon eine
Señorita sei, von den Zwillingen, vom großen
Eckhaus und den Drei Marien, »wenn du wüßtest, wie wir dich
vermissen, Schwägerin, wie sehr du uns fehlst, um die Familie
zu versorgen, du weißt ja, daß ich für den Haushalt nicht tauge,
die Zwillinge sind unausstehlich, aber Bianca ist ein liebes
Mädchen geworden, und die Hortensien, die du eigenhändig in
den Drei Marien gepflanzt hast, sind wunderbar geworden, ein
paar davon blühen blau, weil ich Kupfermünzen in den Dünger
gesteckt habe, damit sie diese Farbe bekommen, das ist ein
Geheimnis der Natur, aber ich denke an dich auch, wenn es
keine Hortensien gibt, immer denke ich an dich, Férula, denn die
Wahrheit ist, daß, seit du von mir gegangen bist, niemand mir so
viel Liebe gegeben hat.«
Als sie mit dem Herrichten fertig war, blieb sie noch eine
Weile bei ihr, sprach mit ihr, streichelte sie, dann rief sie ihren
Mann und Pater Antonio, damit sie sich um die Beerdigung
kümmerten. In einer Keksdose fanden sie, unaufgebrochen, die
Briefumschläge mit dem Geld, das Esteban seiner Schwester in
all diesen Jahren monatlich geschickt hatte. Clara gab sie dem
Priester für wohltätige Zwecke, da sie sicher war, daß Férula
ihnen diese Bestimmung zugedacht hatte.
Der Pfarrer blieb bei der Toten, um die Ratten von ihr
fernzuhalten. Es war kurz vor Mitternacht, als Clara und Esteban
das Haus verließen. Vor der Tür hatten sich die Leute aus der
Armensiedlung versammelt, um die Neuigkeit zu
kommentieren. Sie mußten die Neugierigen beiseite schieben,
um sich einen Weg zu bahnen, und die schnobernden Hunde
verscheuchen. Esteban entfernte sich mit großen Schritten, Clara
am Arm mit sich schleifend und ohne auf das schmutzige
Wasser zu achten, das die makellosen grauen Hosen seines
englischen Schneideranzugs bespritzte. Er war wütend, weil
seine Schwester, genau wie früher, als er noch ein Kind war, ihn
selbst als Tote noch dazu brachte, sich schuldig zu fühlen. Er
dachte an seine Kindheit zurück, als sie ihm mit ihrer
Fürsorglichkeit und ihren zweischneidigen Liebesdiensten eine
Dankesschuld aufgebürdet hatte, die er in allen Tagen seines
Lebens nicht würde abtragen können. Wieder überkam ihn das
Gefühl der
Weitere Kostenlose Bücher