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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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und zu Gott beteten,
er möge seinen Zorn besänftigen, liefen die Diebe durch die
Trümmer, und wo sich ein Ohr mit einem Ohrring oder ein
Finger mit einem Ring zeigte, schnitten sie das Glied ab, ohne
danach zu fragen, ob das Opfer tot oder nur verschüttet war. Ein
Wildwuchs von Krankheitskeimen breitete sich aus und
verursachte Seuchen im ganzen Land. Die übrige Welt, allzu
beschäftigt mit einem neuen Krieg, nahm kaum zur Kenntnis,
daß an dieser weit entfernten Stelle des Planeten die Natur
verrückt geworden war. Dennoch kamen einige Ladunge n
Arzneien, Decken, Lebensmittel und Baumaterial an, die jedoch
auf den verschlungenen Pfaden der Verwaltung so gründlich
versickerten, daß man noch Jahre später in Feinkostgeschäften
zum Preis von Luxuswaren Büchsenragout aus Nordamerika
und Milchpulver aus Europa kaufen konnte.
Esteban Trueba lag vier Monate im Bett, verpackt in
Mullbinden, Brettschienen, Heftpflaster und Klammern,
grausam gefoltert vom Juckreiz und der Bewegungslosigkeit,
und verzehrte sich in Ungeduld. Sein Jähzorn nahm dermaßen
zu, daß es niemand mehr aushalten konnte. Clara blieb auf dem
Land, um ihren Mann zu pflegen, und als die Verkehrsmittel
wieder funktionierten und die Ordnung wiederhergestellt war,
wurde Bianca als Interne in ihre Schule geschickt, weil ihre
Mutter sich nicht um sie kümmern konnte.
In der Hauptstadt überraschte das Erdbeben die Nana im Bett,
und obgleich es hier weniger zu spüren war als im Süden,
brachte der Schrecken sie um. Das große Eckhaus knackte wie
eine Nuß, die Wände sprangen auf, und der große Kristallüster
im Eßzimmer fiel mit einem Getöse wie von tausend Glocken
von der Decke und zerschellte. Davon abgesehen, war das einzig
Schlimme der Tod der Nana. Als sich der erste Schrecken gelegt
hatte, merkten die Dienstmädchen, daß die alte Frau nicht mit
allen übrigen auf die Straße geflüchtet war. Sie gingen sie
suchen und fanden sie in ihrem bescheidenen Bett, die Augen
weit aufgerissen, die wenigen Haare, die sie noch hatte, vor
Entsetzen gesträubt. In dem Chaos, das in diesen Tagen
herrschte, konnten sie ihr ein würdiges Begräbnis, wie sie es
sich gewünscht hatte, nicht geben, sondern mußten sie in aller
Eile beerdigen, ohne Reden und ohne Tränen. Keines der vielen
Kinder fremder Leute, die sie mit solcher Liebe aufgezogen
hatte, war bei dem Begräbnis zugege n.
Das Erdbeben brachte so tiefgreifende Veränderungen in das
Leben der Familie Trueba, daß sie seither alle Ereignisse in
solche vor oder nach diesem Datum einteilte. Auf den Drei
Marien übernahm Pedro Segundo García angesichts der
Tatsache, daß der Patron im Bett lag und sich nicht rühren
konnte, erneut das Amt des Verwalters. An ihm war es nun, die
Arbeiter zu organisieren, die Ruhe wiederherzustellen und das
vom Erdbeben verwüstete Gut neu aufzubauen. Als erstes
wurden die Toten bestattet. Man beerdigte sie auf dem kleinen
Friedhof, der wunderbarerweise verschont geblieben war von
dem Lavastrom, der sich über die Hänge des verfluchten
Vulkans herabgewälzt hatte. Die frischen Gräber gaben dem
schlichten Gottesacker einen Anstrich von Festlichkeit, Reihen
von Birken wurden gepflanzt, damit sie denen, die ihre Toten
besuchen kamen, Schatten spendeten. Die Hintersassen bauten
eins ums andere ihre Ziegelhäuschen so, wie sie gewesen waren,
wieder auf, dann die Ställe, die Kornspeicher, die Molkerei. Sie
bestellten die Erde für die Aussaat, froh, daß Lava und Asche
auf die andere Seite des Bergs gefallen waren und das Gut
verschont hatten. Pedro Tercero mußte auf seine Gänge ins Dorf
verzichten, weil sein Vater ihn brauchte. Verdrossen half er ihm
bei der Arbeit, murrend, daß sie sich den Rücken krumm
schufteten, um den Reichtum des Patrons wiederherzustellen,
während sie selbst so arm blieben wie zuvor.
»So ist es immer gewesen, Sohn. Die Gesetze Gottes lassen
sich nicht ändern«, entgegnete der Vater.
»Sie lassen sich ändern, Vater. Es gibt Leute, die das tun, wir
hier wissen es nur nicht. Auf der Welt geschehen große Dinge«,
wandte Pedro Tercero ein und wiederholte vor seinem Vater die
Reden des kommunistischen Lehrers oder des Paters José Dulce
Maria.
Pedro Segundo García gab keine Antwort und arbeitete
unbeirrt weiter, aber er übersah es geflissentlich, wenn sein
Sohn, den Umstand nutzend, daß die Krankheit des Patrons die
Wachsamkeit lockerte, den Ring der Zensur durchbrach und die
verbotenen

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