Das Geisterhaus
Flugblätter der Gewerkschafter, die politischen
Zeitungen des Lehrers und die seltsamen Bibeldeutungen des
spanischen Priesters in die Drei Marien einschmuggelte.
Auf Anordnung Esteban Truebas begann der Verwalter mit
dem Wiederaufbau des Herrenhauses, genau nach den alten
Plänen. Weder wurden die aus Lehm und Stroh gepreßten Ziegel
durch moderne Bausteine ersetzt noch die zu engen Fenster
verbreitert. Als einzige Verbesserung wurde warmes Wasser in
die Badezimmer gelegt und der alte Holz- und Kohleherd gegen
einen Paraffinherd ausgetauscht, an den sich aber keine Köchin
gewöhnen konnte, so daß er seine Tage zum ungestörten
Gebrauch der Hennen auf dem Hof beschloß. Als die
Bauarbeiten im Gange waren, wurde ein Bretterhäuschen mit
Zinkdach improvisiert, in das Esteban Trueba
samt seinem
Krankenbett gebracht wurde. Von dort aus konnte er durchs
Fenster das Fortschreiten des Werks beobachten und, kochend
vor Wut über seine erzwungene Unbeweglichkeit, seine Befehle
schreien.
Clara veränderte sich sehr in diesen Monaten. Gemeinsam mit
Pedro Segundo García mußte sie sich ins Zeug legen, um zu
retten, was noch zu retten war. Zum erstenmal in ihrem Leben
übernahm sie materielle Angelegenheiten, ohne jede Hilfe, da
sie mit ihrem Mann, mit Férula oder der Nana nicht mehr
rechnen konnte. So erwachte sie endlich aus einer langen
Kindheit, in der sie frei von Verpflichtungen, immer
wohlbehütet und umhegt, in der größten Behaglichkeit hatte
leben können. Esteban Trueba verfiel auf den Trick, daß ihm
nichts, was er aß, bekam, außer wenn Clara es gekocht hatte, so
daß sie einen guten Teil des Tages in der Küche verbrachte,
Hühner rupfend für Krankensüppchen oder Brotteig knetend.
Sie wurde die Krankenpflegerin ihres Mannes, mußte ihn
waschen, seine Verbände wechseln, ihn auf die Schüssel setzen.
Er wurde von Tag zu Tag jähzorniger und despotischer, steck
mir ein Kissen dahin, verlangte er, nein, weiter oben, bring mir
Wein, nein, Weißwein hab’ ich gesagt, mach das Fenster auf,
mach es zu, hier tut es mir weh, ich habe Hunger, mir ist heiß,
kratz mich am Rücken, weiter unten. Clara fürchtete ihn
schließlich weit mehr als früher den gesunden und kräftigen
Mann, der mit seinem Geruch eines begehrlichen Macho, seiner
Gewittersturmstimme, seinem erbarmungslosen Krieg, seiner
Überheblichkeit als großer Herr, der seinen Willen durchsetzt, in
den Frieden ihres Lebens eingebrochen und mit seinen Launen
auf das zerbrechliche Gleichgewicht geprallt war, das sie
zwischen den Geistern des Jenseits und den hilfsbedürftigen
Seelen des Diesseits aufrechtzuerhalten gesucht hatte. Zuletzt
haßte sie ihn. Kaum festigten sich seine Knochen und konnte er
sich ein wenig bewegen, überkam ihn wieder das stürmische
Verlangen, sie zu umarmen, und sooft sie an ihm vorbeiging,
gab er ihr, sie in Krankenverwirrtheit verwechselnd mit den
robusten Bäuerinnen, die ihm in seinen jungen Jahren in Küche
und Bett gedient hatten, einen kräftigen Klaps auf den Hintern.
Clara fühlte, daß sie zu dieser Gangart nicht mehr taugte. Die
Unglücksschläge hatten sie vergeistigt, und das Alter und
mangelnde Liebe zu ihrem Mann hatten sie dazu gebracht,
Sexualität als einen reichlich brutalen Zeitvertreib zu betrachten,
der ihr Gelenkschmerzen und im Zimmer Unordnung
verursachte. Innerhalb weniger Stunden holte das Erdbeben sie
herab auf die Ebene vo n Gewalt und Tod und Vulgarität und
brachte sie in Berührung mit elementaren Dingen, die sie früher
ignoriert hatte. Der dreibeinige Tisch, ihr Geschick, aus den
Teeblättern die Zukunft zu lesen, nutzten ihr nichts angesichts
der Dringlichkeit, die Hintersassen vor Seuchen und
Kopflosigkeit, die Erde vor Dürre und Schnecken, die Kühe vor
Maul- und Klauenseuche und die Hühner vor dem Pips, die
Kleider vor Motten, ihre Kinder vor Verwahrlosung und ihren
Mann vor dem Tod und seinem eigenen unbeherrschten Zorn zu
bewahren. Clara war müde. Wenn sie Entscheidungen treffen
sollte, fühlte sie sich allein und ratlos. Der einzige, bei dem sie
Hilfe suchen konnte, war Pedro Segundo García. Dieser treue,
stille Mann, der immer da war, immer in Reichweite ihrer
Stimme, gab ihrem plötzlich so stürmisch schwankenden Leben
einige Stabilität. Am Ende des Tages holte ihn Clara oft, um ihm
eine Tasse Tee anzubieten. Sie saßen in den Korbstühlen unter
dem Dachvorsprung und warteten, daß es Nacht wurde und die
Spannung des Tages
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