Das Geisterhaus
weiter, liefen noch ein
Stück neben ihr her und kehrten zuletzt gelangweilt um. Bianca
seufzte erleichtert auf und merkte, daß sie zitterte und mit
Schweiß bedeckt war. Sie mußte sich an einen Baum lehnen und
warten, bis das Schwächegefühl, das ihre Knie weich machte,
vorüber war. Dann schlüpfte sie rasch in ihre Kleider und rannte
zum Fluß.
Pedro Tercero erwartete sie an der Stelle, an der sie sich
vergangenen Sommer immer getroffen hatten, derselben, an der
Esteban Trueba vor vielen Jahren Pancha García um ihre
schlichte Jungfräulichkeit gebracht hatte. Bianca wurde über
und über rot, als sie Pedro sah. Während der Monate der
Trennung hatte er sich bei der harten Aufgabe, ein Mann zu
werden, gestählt, während sie, eingeschlossen im Elternhaus und
im Nonnenkloster, abgeschirmt gegen jede Berührung mit dem
Leben, über Stricknadeln und schottischer Wolle geträumt hatte,
und ihre Traumbilder stimmten nicht überein mit diesem
hochgewachsenen jungen Mann, der nun, leise ihren Namen
rufend, auf sie zuging. Pedro Tercero streckte die Hand aus und
berührte ihren Hals unter dem Ohr. Bianca fühlte etwas Heißes
ihre Knochen durchströmen und ihre Beine schlaff machen, sie
schloß die Augen und ließ sich los. Er zog sie sanft an sich und
umschlang sie mit seinen Armen. Sie grub die Nase in die Brust
dieses Mannes, den sie nicht kannte, der so verschieden war von
dem mageren Kind, mit dem sie noch vor Monaten
Liebkosungen getauscht hatte bis zur Erschöpfung. Sie roch
seinen neuen Geruch, rieb sich an seiner rauhen Haut, befühlte
diesen trockenen, starken Körper und spürte, ganz im Gegensatz
zu der Erregung, die sich Pedros bemächtigte, einen grandiosen,
vollkommenen inneren Frieden. Sie suchten sich mit den
Zungen, wie sie es früher getan hatten, und es schien ihnen, als
sei es eine eben erst erfundene Liebkosung, sie fielen auf die
Knie, wild sich küssend, und rollten dann über das weiche Bett
der feuchten Erde. Sie entdeckten sich zum erstenmal und hatten
sich nichts zu sagen. Der Mond lief den Horizont ab, aber sie
sahen ihn nicht. Sie waren damit beschäftigt, ihre tiefste
Intimität zu erkunden und unersättlich einer in die Haut des
anderen zu schlüpfen.
Seit dieser Nacht traf Bianca Pedro
Tercero immer zur
gleichen Stunde an derselben Stelle. Tagsüber stickte sie, malte
nahe am Haus fade Aquarelle, unter dem glücklichen Blick der
Nana, die endlich ruhig schlafen konnte, Clara hingegen fühlte,
daß etwas Neues sich anbahnte, sie sah eine neue Farbe in der
Aura ihrer Tochter und glaubte den Grund zu erraten. Pedro
Tercero verrichtete seine üblichen Arbeiten auf dem Feld und
hörte auch nicht auf, zu seinen Freunden ins Dorf zu gehen.
Wenn es Nacht wurde, war er todmüde, aber die Aussicht,
Bianca zu treffen, gab ihm seine Kräfte zurück. Er war nicht
umsonst fünfzehn. So verbrachten sie den ganzen Sommer, und
viele Jahre später erinnerten sie sich dieser leidenschaftlichen
Nächte als der besten Zeit ihres Lebens.
Unterdessen nützten Jaime und Nicolas die Ferien, um all das
zu tun, was ihnen im Internat verboten war: sie schrien, was das
Zeug hielt, rauften bei jeder Gelegenheit, verwandelten sic h in
zwei schmuddelige, verlotterte Bengel mit Blutkrusten an den
Knien, Läusen im Haar, gesättigt von frisch gepflücktem Obst
und Sonne und Freiheit. In aller Frühe liefen sie aus dem Haus
und kamen vor Anbruch der Nacht nicht zurück, vollauf damit
beschäftigt, mit wohlgezielten Steinwürfen Kaninchen zu jagen,
bis zur Atemlosigkeit zu reiten und nach den Frauen zu spähen,
die am Fluß Wäsche wuschen.
Drei Jahre vergingen auf diese Weise, bis das Erdbeben alles
veränderte. Am Ende dieser Ferien fuhren die Zwillinge mit der
Nana, den städtischen Dienstboten und dem größten Teil des
Gepäcks vor der übrigen Familie in die Hauptstadt zurück. Die
Buben gingen direkt ins Internat, die Nana und die übrigen
Hausangestellten rüsteten das große Eckhaus für die Ankunft
der Herrschaft.
Bianca blieb mit ihren Eltern ein paar Tage länger auf dem
Land. In diesen Tagen war es, daß Clara Angstträume bekam,
nachts schlafwandelnd durch die Gänge lief und morgens
schreiend erwachte. Tagsüber ging sie wie eine Blöde herum
und sah warnende Vorzeichen im Verhalten der Tiere: die
Hennen legten nicht ihr tägliches Ei, die Kühe liefen verstört
herum, die Hunde bellten den Tod an, Ratten, Spinnen und
Würmer kamen aus ihren
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