Das Geisterhaus
erschütterten. Auf den Drei Marien
wartete man auf den Sonnenaufgang, um die Toten zu zählen
und die Verschütteten auszugraben, die noch unter den
Trümmern stöhnten, darunter
Esteban Trueba, von dem alle
wußten, wo er sich befand, den lebend wiederzusehen aber
niemand zu hoffen wagte. Vier Männer unter dem Befehl von
Pedro Segundo García waren nötig, um den Berg von
Lehmziegeln, Dachziegeln und Staub abzutragen, der über ihm
lag. Clara hatte ihre Zerstreutheit abgelegt und half mit der Kraft
eines Mannes, die Steine wegzuräumen.
»Wir müssen ihn herausho len! Er lebt und hört uns«,
versicherte sie, und das gab den anderen Mut, weiterzugraben.
Mit dem ersten Tageslicht erschienen Bianca und Pedro
Tercero, unversehrt. Clara stürzte sich auf ihre Tochter und gab
ihr ein paar tüchtige Ohrfeigen, aber dann schloß sie sie weinend
in die Arme, erleichtert, sie gesund zu wissen und bei sich zu
haben.
»Da ist dein Vater«, sagte sie, auf den Schutthaufen zeigend.
Die jungen Leute machten sich mit den anderen an die Arbeit,
und eine Stunde später, als die Sonne über dieser Welt in
Trümmern aufgegangen war, holten sie den Patron aus seinem
Grab hervor. Er hatte so viele Knochenbrüche, daß man sie nicht
zählen konnte, aber er war am Leben und hatte die Augen offen.
»Man muß ihn zum Arzt ins Dorf bringen«, sagte Pedro
Segundo.
Sie diskutierten, wie sie ihn befördern sollten, ohne daß, wie
bei einem zerrissenen Sack, überall die Knochen herauskamen,
als Pedro Garcia der Alte dazutrat, der dank seiner Blindheit und
seiner Taubheit das Erdbeben ungerührt überstanden hatte.
»Wenn ihr ihn bewegt, wird er sterben«, befand er.
Esteban Trueba war nicht bewußtlos und hörte alles genau. Er
erinnerte sich der Ameisenplage und kam zu dem Schluß, daß
der Alte seine einzige Rettung war.
»Laßt ihn, er weiß, was er tut«, lallte er.
Pedro Garcia ließ eine Decke bringen, sein Sohn und sein
Enkel hoben den Patron hoch und legten ihn auf einen
improvisierten Tisch, den sie in der Mitte des Platzes aufstellten,
der einmal der Hof gewesen, nun aber nur noch eine kleine
Lichtung in einem Alptraum von Trümmern, toten Tieren,
heulenden Kindern, winselnden Hunden und bebenden Frauen
war. Sie zogen einen Schlauch Wein aus den Ruinen hervor, den
sie Pedro Garcia dem Alten gaben. Mit einem Drittel wusch er
den Körper des Verletzten, das zweite gab er ihm zu trinken, das
letzte trank er selber, ehe er daranging, geduldig und ruhig, hier
ziehend, dort einpassend, einen Knochen um den ändern wieder
in die richtige Lage zu bringen, sie dann mit Brettern schiente
und mit Streifen von Bettlaken umwand, um sie stillzulegen.
Dabei murmelte er Litaneien ehrwüdiger Heilkundiger,
beschwor das gute Gelingen, rief die Heilige Jungfrau Maria an
und ertrug das Brüllen und Fluchen Esteban Truebas, ohne daß
der friedfertige Ausdruck des Blinden je aus seinem Gesicht
verschwand. Nur nach dem Tastsinn und seinem Gefühl fügte er
den Körper des Patrons so gut wieder zusammen, daß die Ärzte,
die ihn später untersuchten, es nicht für möglich hielten.
»Nicht einmal versucht hätte ich das«, meinte Doktor Cuevas,
als er es erfuhr.
Die Verwüstungen, die das Erdbeben angerichtet hatte,
stürzten das Land in eine lange Trauer. Nicht genug, daß sich
die Erde geschüttelt hatte, bis alles umgeworfen war, auch das
Meer war meilenweit zurückgewichen und wiedergekehrt in
einer einzigen, riesenhaften Welle, die Boote auf weit von der
Küste entfernte Berge warf, Wege, Häuser und Tiere mitriß und
mehrere Inseln im Süden meterhoch unter Wasser setzte. Es gab
Gebäude, die wie verwundete Dinosaurier stürzten, andere fielen
wie Kartenhäuser ein, die Zahl der Toten ging in die Tausende,
und es gab keine Familie, die nicht eines ihrer Mitglieder zu
beklagen hatte. Das salzige Meerwasser verdarb die Ernte,
Brände rafften ganze Stadtviertel und Dörfer dahin, und zuletzt,
als Krönung der Strafe, floß Lava den Vulkan herab und
Aschenregen fiel über die Dörfer. Aus Angst, die Katastrophe
könnte sich wiederholen, schliefen die Leute nicht mehr in ihren
Häusern, sondern schlugen unter freiem Himmel improvisierte
Zelte auf, um auf Plätzen und Straßen zu schlafen. Soldaten
wurden eingesetzt, die gegen Ausschreitungen vorgingen und
jeden ohne weiteres erschossen, den sie beim Stehlen
überraschten, denn während die guten Christen die Kirchen
füllten, um Vergebung ihrer Schuld baten
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