Das Geisterhaus
Sozialistenführers geriet bald in Vergessenheit.
»Sie können dich umbringen«, sagte Bianca, ihn umarmend.
»Ich passe schon auf«, beruhigte sie Pedro
Tercero. »Ich
bleibe nie lange an einem Ort. Deshalb werde ich dich auch
nicht alle Tage sehen können. Warte hier auf mich. Ich komme,
sooft ich kann.«
»Ich liebe dich«, sagte sie schluchzend.
»Ich dich auch.«
Und sie umarmten sich wieder mit dem unersättlichen Feuer
ihrer Jugend, während der Esel immer noch Gras kaute.
Bianca brachte es fertig, nicht ins Internat zurückkehren zu
müssen. Mit warmer Pökelbrühe verschaffte sie sich Erbrechen,
mit unreifen Kirschen Durchfall, mit einem eng geschnürten
Pferderiemen Schwächeanfälle, bis sie in dem Ruf stand, von
schwacher Gesundheit zu sein, und das war es, was sie wollte.
Sie mimte so gut die Symptome verschiedenster Krankheiten,
daß sie ein Ärztegremium hätte täuschen können, und am Ende
war sie selbst davon überzeugt, kränklich zu sein. Jeden
Morgen, wenn sie erwachte, ging sie im Geist ihren Organismus
durch, um herauszufinden, wo es ihr weh tat und an welchem
neuen Übel sie litt. Sie lernte jeden Umstand nutzen, um sich
krank zu fühlen, von einem Wechsel der Temperatur bis zu den
Pollen der Blüten, und jedes Wehwehchen in eine tödliche
Krankheit umzumünzen. Da Clara der Ansicht war, das Beste
für die Gesundheit sei, die Hände zu rühren, gab sie ihrer
Tochter Arbeit, um ihre Unpäßlichkeiten in Grenzen zu halten.
Bianca mußte jeden Morgen wie alle übrigen früh aus dem Bett,
sich mit kaltem Wasser waschen und dann ihren Aufgaben
nachgehen: in der Schule unterrichten, in der Schneiderwerkstatt
nähen und in der Krankenstation alle anfallenden Arbeiten
verrichten, vom Verabreichen eines Klistiers bis zum Vernähen
von Wunden mit Nadel und Faden aus der Schneiderwerkstatt,
und es half ihr nichts, wenn sie beim Anblick von Blut
ohnmächtig wurde oder ihr der kalte Schweiß ausbrach, wenn
sie Erbrochenes wegputzen mußte. Pedro Garcia der Alte, der
schon fast neunzig war und seine Knochen kaum mehr
schleppen konnte, teilte Claras Ansicht, daß die Hände dazu da
sind, benutzt zu werden. So geschah es, daß er Bianca eines
Tages, als sie über schreckliche Kopfschmerzen klagte, zu sich
rief und ihr ohne weiteres einen Batzen Ton in den Schoß warf.
Den ganzen Nachmittag zeigte er ihr, wie man den Ton formen
muß, um Küchengeschirr daraus zu machen, ohne daß sich das
Mädchen seiner Schmerzen erinnerte. Der Alte wußte nicht, daß
er Bianca das Handwerk beibrachte, das in späteren Jahren ihr
einziger Lebensunterhalt und ihr Trost in traurigen Stunden sein
sollte. Er lehrte sie, mit dem Fuß die Drehscheibe in Gang zu
halten, während sie die Hände über den weichen Ton führte, um
Teller und Krüge herzustellen. Bianca fand jedoch bald, daß das
Nützliche sie langweilte und daß es weit unterhaltsamer war,
Tier- und Menschenfiguren zu machen. Mit der Zeit ging sie
dazu über, eine Miniaturwelt aus Haustieren und Leuten aller
Berufe, Schreiner, Wäscherinnen, Köchinnen, herzustellen, alle
mit ihren kleinen Werkzeugen und Gerätschaften.
»Nutzloses Zeug«, sagte Esteban Trueba, als er das Werk
seiner Tochter sah. »Suchen wir ihm einen Nutzen«, schlug
Clara vor.
So entstand die Idee mit den Weihnachtskrippen. Bianca fing
an, die Figuren zu modellieren, nicht nur die Heiligen Drei
Könige und die Hirten, sondern auch eine Menge Menschen der
verschiedensten Berufe und alle Arten von Tieren, Kamele und
Zebras aus Afrika, Gürteltiere aus Amerika und Tiger aus Asien,
ohne Rücksicht auf die für Bethlehem spezifische Fauna. Dann
machte sie Tiere eigener Erfindung, klebte die Hälfte eines
Elefanten an die Hälfte eines Krokodils, nicht ahnend, daß das,
was sie aus Ton formte, dem glich, was ihre Tante Rosa, die sie
nicht kannte, mit dem Stickgarn auf ihrer überdimensionalen
Decke hervorgebracht hatte, während Clara zu dem Schluß kam,
daß, wenn sich die Verrücktheiten in der Familie wiederholen,
es ein genetisches Gedächtnis geben muß, das ein Vergessen
bestimmter Dinge verhindert. Biancas reichbevölkerte
Weihnachtskrippen wurden zu Kuriositäten. Sie mußte zwei
Mädchen anlernen, weil sie allein nicht alle Aufträge erledigen
konnte, da dieses Jahr jeder eine Weihnachtskrippe haben
wollte, vor allem, weil sie nichts kostete. Esteban Trueba fand,
die Töpfermanie sei gut zur Unterhaltung von Señoritas, würde
Weitere Kostenlose Bücher