Das Geisterhaus
sie aber zum Geschäft, dann stünde der Name Trueba plötzlich
neben denen von Kleinkrämern, die in Eisenhandlungen Nägel
und auf dem Markt Bratfische verkauften.
Bianca und Pedro trafen sich in unregelmäßigen Abständen,
wodurch ihre Begegnungen um so intensiver wurden. In diesen
Jahren gewöhnte sich Bianca an das Erschrecken und an das
Warten, sie machte sich mit dem Gedanken vertraut, daß sie sich
immer nur im verborgenen würden lieben können, und gab den
Gedanken, zu heiraten und mit Pedro in einem der
Ziegelhäuschen ihres Vaters zu leben, auf. Oft vergingen
Wochen, ohne daß sie eine Nachricht von ihm hatte, aber
plötzlich erschien auf dem Gut ein Briefträger auf dem Fahrrad,
ein Prediger mit einer Bibel unterm Arm oder ein in heidnischer
Zunge radebrechender Zigeuner, harmlose Leute, die das Gut
passierten, ohne in den wachsamen Augen des Patrons Verdacht
zu erwecken. An seinen schwarzen Augen erkannte sie ihn. Und
sie war nicht die einzige: alle Hintersassen der Drei Marien und
viele Bauern von anderen Gütern erwarteten ihn gleichfalls. Seit
der junge Mann von den Gutsbesitzern verfolgt wurde, galt er
als Held. Jeder wollte ihn eine Nacht bei sich verstecken, die
Frauen webten ihm Ponchos und strickten Wintersocken für ihn,
die Männer hoben den besten Schnaps und das beste Dörrfleisch
der Saison für ihn auf. Sein Vater, Pedro Segundo García, erriet
an den Spuren, die er hinterließ, daß er das Verbot des Patrons
übertrat. Er war gespalten zwischen der Liebe zu seinem Sohn
und seiner Funktion als Aufseher der Besitzung. Überdies
fürchtete er, daß er eines Tages seinen Sohn erkennen würde,
und Esteban Trueba würde es ihm am Gesicht ablesen, aber es
erfüllte ihn auch mit geheimer Freude, daß einige der seltsamen
Dinge, die auf dem Lande geschahen, ihm zugeschrieben
wurden. Das einzige, was ihm nie in den Sinn kam, war, daß die
Besuche seines Sohnes etwas mit Bianca Truebas Spaziergängen
an den Fluß zu tun haben könnten, denn diese Möglichkeit war
in der natürlichen Ordnung der Welt nicht vorgesehen. Außer in
der Familie sprach er nie von seinem Sohn, aber er war stolz auf
ihn und sah ihn lieber als Flüchtling denn als einen im großen
Haufen, der wie alle anderen Kartoffeln säte und Armut erntete.
Wenn er jemanden eine Strophe aus dem Lied von den Hennen
und dem Fuchs trällern hörte, lächelte er und dachte, daß sein
Sohn mit seinen subversiven Balladen mehr Anhänger gefunden
hatte als mit den Kampfschriften der Sozialistischen Partei, die
er so ausdauernd verteilte.
Sechstes Kapitel
Die Rache
Anderthalb Jahre nach dem Erdbeben waren die Drei Marien
das gleiche Mustergut wie zuvor. Das große Herrenhaus stand
wieder, originalgetreu, wenngleich solider gebaut und mit einer
Warmwasser-Installation in den Bädern. Das Wasser war braun
wie Schokolade, und manchmal kam eine Kröte aus dem Hahn,
aber es floß in einem munteren, starken Strahl. Die deutsche
Pumpe war fabelhaft. Ich ging überall herum, nur noch auf den
dicken silbernen Stock gestützt, den ich noch heute benütze und
von dem meine Enkelin sagt, ich brauchte ihn nicht, weil ich
hinke, sondern um meinen Worten Nachdruck zu verleihen,
indem ich ihn als schlagenden Beweis schwinge. Die lange
Krankheit hat meinen Organismus angegriffen und meinen
Charakter noch verschlimmert. Ich gebe zu, daß zuletzt nicht
einmal mehr Clara meine Wutausbrüche bremsen konnte. Ein
anderer wäre durch diesen Unfall zum Krüppel geworden, mir
aber hat die Kraft meines Zorns geholfen. Ich dachte an meine
Mutter, die lebendigen Leibes im Rollstuhl verfault war. Das
gab mir den eisernen Willen aufzustehen und, wenn auch unter
Fluchen, zu gehen. Ich glaube, die Leute hatten Angst vor mir.
Selbst Clara, die meine schlechte Laune nie gefürchtet hatte,
zum Teil, weil ich mich sehr in acht nahm, sie nicht an ihr
auszulassen, ging erschrocken herum. Sie ängstlich zu sehen
machte mich vollends rasend.
Nach und nach veränderte sich Clara. Sie sah müde aus, und
ich merkte, daß sie sich von mir entfernte. Sie hatte keine
Sympathie mehr für mich, meine Schmerzen erweckten kein
Mitgefühl in ihr, sondern waren ihr lästig, und ich sah, daß sie
meine Gegenwart mied. Ich würde sagen, daß es ihr in dieser
Zeit mehr Vergnügen machte, mit Pedro Segundo García die
Kühe zu melken, als mir im Salon Gesellschaft zu leisten. Je
distanzierter sich Clara gab, desto größer wurde mein
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