Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
einzige Jungfrau sein, die bis auf weiteres Unterschlupf im Kloster der Büßerinnen zu Sankt Hieronymus gefunden hat. Darauf kommt es ja schließlich an, und mehr möchte ich dazu wirklich nicht sagen.« Müde wandte sie sich ab, um sich einen großen Becher Würzwein zu bereiten.
Gretlin, die sich entzwischen auch sehr gut ohne Worte mitteilen konnte, zeigte zuerst auf sich und dann auf die Ecke, wo Maroni zusammengerollt schnarchte, und nickte kräftig. Da breitete sich ein Lächeln auf Yrmels Gesicht aus, als würde die Sonne über den Weinbergen von Grinzing aufgehen.
*
Traurig ritt Sander an der Seite seines Oheims den Witmarkt entlang und an der Kirche Sankt Michael vorbei. Er hörte nicht die Abschiedsrufe der Wiener, die die Straße säumten, das Scherzen und Lachen der Leute im Tross des Patriarchen, die sich allesamt, geplagt vom Heimweh, auf das Wiedersehen mit Lucca freuten. Der Zug näherte sich der Herzogsburg und würde in kurzer Zeit das Widmertor passieren, die Vorstädte durchqueren, den Wienfluss entlangreiten und sich weiter auf den beschwerlichen Weg nach Westen machen. Nach einem Seitenblick auf seinen Neffen rief Randegg den Marschall, der die Verantwortung für die Reise trug, an seine Seite und besprach sich mit ihm in kurzen Worten. Als dieser dienstbeflissen nickte und wieder seinen Platz an der Spitze des Trosses einnahm, gab Bernhard von Randegg seinem Neffen mit einem kurzen Nicken zu verstehen, ihm zu folgen. Sander, ein wenig verstört, staunte, als sein Oheim sein Pferd forsch nach rechts lenkte und im schnellen Galopp die Schaufellucke, eine enge Gasse, entlangritt. Erst beim Kloster der Minderen Brüder zügelte er sein Pferd und drehte sich im Sattel halb um, um festzustellen, ob sein Neffe nicht den Anschluss verpasst hatte. Ein wenig außer Atem brachte Sander sein Pferd zum Stehen und fragte verdutzt:
»Was soll denn das, Oheim?«
Leise lächelnd sprang Bernhard von Randegg vom Pferd und band es an einen ausladenden Nussbaum, der sich im Garten des kleinen Häuschens ›Zum goldenen Fasan‹ ganz in der Nähe der Kirche befand. Sander tat es ihm gleich, und die beiden schlenderten zum Portal der Kirche. Der Patriarch wies seinen Neffen an, auf den Stufen Platz zu nehmen, und setzte sich ebenfalls dazu. Eine Weile wurde gar nichts gesprochen. Bernhard von Randegg genoss die frische Luft, die den jetzt auch endlich in Wien herannahenden Frühling versprach, bewunderte die Strahlen der Sonne, die den hellen Sandstein der Kirche der Minderen Brüder funkeln ließ. Behaglich lehnte er sich an die steinernen Rippen des über elf Meter hohen Portals und schloss die Augen. Sander, ohne Gefühl für die Ruhe und Schönheit dieses Augenblicks, kratzte mit einem kleinen Holzstöckchen in den Unebenheiten der Stufen und brachte eine ansehnliche Menge Schmutz zum Vorschein. Er hatte kein Interesse mehr, seinen Oheim nach Sinn und Zweck dieses Ausflugs weg vom Tross zu befragen, es war ihm gleichgültig nach dem, was heute Morgen vor dem Dom geschehen war. Zu tief saß der Schreck, zu groß war die Enttäuschung.
»Der Glorreiche wurde er genannt«, begann Randegg mit sanfter Stimme zu erzählen, »dieser Babenberger Herzog Leopold. Eine seiner wohl lobenswertesten Taten war es, den ankommenden Mönchen aus unserer Heimat ein Grundstück, hart an der Stadtmauer gelegen, zu schenken. Ja er hat sogar in Assisi den Heiligen Franziskus gebeten, ihm eine kleine Zahl an Mönchen zu senden!«
Bernhard, der bisher mit geschlossenen Augen gesprochen hatte, öffnete sie und wandte sich seinem Neffen zu.
»Sie kamen wahrscheinlich ziemlich müde und verlottert hier an, die Minderen Brüder, aber sie bekamen Grund und Boden mit einem kleinen Kirchlein darauf, das der Heiligen Katharina von Alexandrien geweiht war. Also nicht nur irgendein Stück Land, sondern geweihte Erde zwischen Schottenkloster und herzoglicher Residenz.«
Sander reagierte gar nicht, sondern kratzte noch mehr Erde und Schmutz aus den Ritzen zwischen den Pflastersteinen. Nachsichtig betrachtete Randegg den Jüngling und erzählte weiter: »Schon bald baute man eine größere Kirche und gleich ein Kloster dazu. Stell dir vor, Sander, der Baumeister hatte einen ganz und gar wienerischen Namen: Bruder Hans Schimpffenpfeil!« Randegg lachte und strich sich mit der Hand über sein Kinn. Sander blickte zornig zu ihm auf und verlor, als er die entspannte, heitere Miene des Patriarchen sah, die Beherrschung:
»Was willst du
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