Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
Gewissen und habe höchstwahrscheinlich damit ein paar andere zerstört. Und das Schlimmste daran ist … das Schlimmste …« Jetzt weinte der Patriarch und Sander, der kein Wort an ihn zu richten wagte, strich ihm nur begütigend über seine alten, faltigen Finger, die er in sein weißes Betttuch gekrallt hatte. Endlich beruhigte sich Randegg und erzählte weiter.
»Ich war in den Diensten der Gräfin von Tirol, vor meiner Zeit hier.« Überrascht sah ihn sein Neffe an.
»Nicht offiziell. Niemand wollte und konnte sich offiziell zu dieser schönen und mächtigen Frau bekennen. Nicht in dieser Zeit, wo sie ein Bannfluch des Papstes traf, wo sie ihre erste Ehe annulliert hatte, wo ihr Sohn und Nachfolger verstorben … vergiftet worden war. Nun, ich hatte eine Mission zu erfüllen in ihrem Auftrag.«
Sander war fassungslos. War denn der Alte jetzt schon ganz verrückt geworden? Meinte er etwa Margarete, die mit dem Bruder des Kaisers Karl schon als Kind vermählt wurde? Es konnte doch nicht sein, dass sein Oheim dieser Frau, die dann, als sie ihren ersten Mann vertrieben hatte, Ludwig den Bayern ehelichte, zu Diensten stand? Zehn Jahre war diese Frau im Kirchenbann, weil ihre erste Ehe nicht annulliert wurde! Bestürzt wartete Sander, was Randegg ihm weiter zu berichten hatte.
»Es war im Jahr 1363, Sander. Margarete hatte ihren Mann und ihren Sohn verloren und überschrieb ihr Erbe Tirol dem nächsten Verwandten.«
»Rudolf dem Habsburger«, warf Sander ein und biss sich auf die Lippen. Er sollte doch nur schweigen und zuhören!
Aber der Patriarch setzte unbeirrt fort: »Ja genau. Tirol war so gut wie übergeben. Das passte den Wittelsbachern nicht, und die hohe Frau sah sich im Brennpunkt der Machthungrigen. Von allen Seiten wurde sie ausgenutzt und angefeindet und sie beschloss, das, was ihr noch geblieben war, zu schützen. Auf ungewöhnliche Weise …« Ein nicht enden wollender Hustenanfall schüttelte den dürren, verwelkten Leib des Alten, und Sander bekam es mit der Angst. Er wollte Ella holen, doch ungeduldig winkte der Patriarch ab.
»So viel Zeit habe ich nicht, Sander. Es geht schon. Setz dich hin und lass mich erzählen.« Sander hörte weiter gebannt zu. »Alles drängte die hohe Frau, um ja zu verhindern, dass Margarete den Vertrag rückgängig machen konnte. Es schien, als ob man ihr absichtlich keine Zeit ließ, sich zu sammeln, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Sie musste abdanken und Tirol so schnell wie möglich verlassen. Aber eines blieb ihr noch zu tun … Doch vorher … sie hatte alles verloren, bis … sie erkannte, dass sie nicht mehr die Kraft hatte, ihr eigen Fleisch und Blut zu schützen …«
Randegg weinte wieder und Sander hielt seine Hand. Verwundert fragte er sich, welches Fleisch und Blut der Alte meinte. Margarete hatte weder Mann noch Kinder zurückgelassen. Ludwig der Bayer war tot, und ihr Sohn Meinhard starb jung. Als hätte er die nicht ausgesprochene Frage seines Neffen vernommen, antwortete Randegg ganz leise:
»Da war Agnes … ihre Tochter …«
Erschrocken sah Sander seinen Oheim an.
»Ja, ganz recht, mein Sohn. Margarete hatte eine Tochter, und die war hochschwanger, als die Mutter abdanken musste.« Das Gespräch strengte den Patriarchen zusehends an, sein Atem wurde immer flacher, immer mehr Anstrengung bedurfte es, fortzufahren.
»Ich war es, Sander. Ich war der, der den Säugling außer Landes brachte. Ich wurde von der Gräfin auserkoren, ihr eigen Fleisch und Blut in Sicherheit zu bringen.«
»Was wurde aus der Mutter des Kindes, aus dieser Agnes?«, fragte Sander leise.
»Tot.« Ein Schluchzen, das nahtlos in einen weiteren Hustenanfall überging, war die Antwort. »Sie starb bei der Geburt ihres Kindes. Sie war ein so schönes Mädchen, sie hat so gekämpft, sie …«
Sander sah mit Schrecken, wie sich Randegg mit letzter Kraft aufrichtete und den Oberarm seines Neffen umklammerte.
»Sander: Es gibt einen Erben von Tirol, und der ist nicht aus dem Hause Habsburg. Ich hab diesem Menschen alles genommen. Sein Leben, sein Land … Ich habe schwer gesündigt …«
Sander dachte lang nach und schüttelte dann langsam den Kopf: »Du warst es nicht, Oheim. Die Gräfin von Tirol hat das entschieden. Sie hat Rudolf ihr Land vermacht, sie hat angewiesen, das Kind außer Landes zu bringen, seine familiären Bande zu zerreißen. Was hättest du denn tun sollen?«
Randegg blickte verzweifelt zur Decke: »Ich hätte mich stellen sollen.
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